The metaphor is probably the most fertile power possessed by man.
[José Ortega y Gasset 1980: 784]
Einleitung
Schon 1934 wies Karl Bühler auf die Allgegenwart von Metaphern in der Sprache hin:
Wer die sprachliche Erscheinung, die man Metapher zu nennen pflegt, einmal anfängt zu beachten, dem erscheint die menschliche Rede bald ebenso aufgebaut aus Metaphern wie der Schwarzwald aus Bäumen. [Bühler 1934: 342]
Auch Rudolf Schmitt, Begründer der systematischen Metaphernanalyse in Deutschland, meint, dass Metaphern in zahlreichen Sprachbereichen allgegenwärtig sind:
Unsere Alltagssprache wie die Wissenschaftssprache ist durchdrungen von Metaphern, wir können nicht ohne Bilder sprechen. Wir verstehen die Welt anderer Menschen durch Metaphern - und mißverstehen sie. [Schmitt 2000: 2]
Lakoff [1993: 47] geht sogar so weit zu behaupten, dass viele Sachverhalte allein vermittels Metaphern ausdrückbar sind:
Much subject matter, from the most mundane to the most abstruse scientific theories, can only be comprehended via metaphor.
Ähnlich Gessinger [1992: 92]:
Metaphern sind eine besondere Form anschaulichen Denkens und in gewissen theoretischen Kontexten deshalb nicht ersetzbar, weil sie die notwendige Versinnlichung des Gegenstandes garantieren.
So ist es keineswegs überraschend, dass eine Vielzahl von Untersuchungen von Metaphern in der Sprache i.A.1 und in der Fachsprache i.B. vorliegen. Hier nur einige Beispiele aus den zahlreichen Studien der Metapher im fachsprachlichen Umfeld: in Autofachzeitschriften [Sakowski 2011], in der Bakteriologie [Hänseler 2009] und Chemie [Lechleiter 2002], in der Börsenfachsprache [Eitze 2012], in der Computerfachsprache [Rickert 2002] und Informatik [Steffen 2006], in der juristischen Fachsprache [Szubert 2012], in der Mathematik [Allmendinger 2015; Raschauer 2013], in der medizinischen Fachsprache [Richter 2009; Schmale 2018], in den Naturwissenschaften [Liebert 2005], in der Pädagogik [Boß 2009] und Didaktik [Peyer & Kuenzli 1999], in der Wirtschaftssprache [Lutter 2016] und Ökonomie [Muchlinski 2013], in der Wissenschaftssprache [Gessinger 1992] oder zur Übersetzung terminologischer Metaphern [Mertanen 2008].2
Ganz offensichtlich spielen Metaphern beim Ausdruck komplexer Phänomene eine zentrale Rolle.
Lakoff und Johnson haben in beeindruckenden Publikationen belegt, dass unser Denken in großem Ausmaß metaphorischer Natur ist. Wir denken vorzugsweise komplexe, schwierig zu erfassende Phänomene in Bildern, die einfacher gestalteten und älteren Erfahrungen entspringen. Die Analyse von Metaphern gibt daher eine Antwort auf die Frage, wie wir die Welt aus altbekannten Mustern konstruieren. [Schmitt 2011: 47]
So ist es kaum überraschend, dass fast ausnahmslos alle genannten Arbeiten, wie i.Ü. auch die Beiträge des vorliegenden Sonderheftes von ELAD-SILDA, auf Lakoff / Johnsons [1980] Theorie der konzeptuellen Metapher basieren. Dieser im kognitivistischen Paradigma zu verortende Ansatz ist zwar weit verbreitet und hochgeachtet, dennoch nicht unumstritten was die intersubjektiv nachvollziehbare, folglich wissenschaftliche Identifikation von Metaphern angeht, worauf bspw. Schmitt [2011] hinweist, der sogar von einem „Unbehagen“ gegenüber Lakoff / Johnsons‘ Ansatz spricht [Schmitt 2011: 51]:
Lakoff und Johnson, so meine These, konstruieren metaphorische Gegenständlichkeiten und unterschlagen ihre eigene Deutungsarbeit, denn die Identifikation von Metaphern einerseits und die Rekonstruktion von metaphorischen Konzepten andererseits sind von sinnverstehenden Kompetenzen der Interpretierenden abhängig. Dieses Ordnen nach sinnhaften Bezügen kann nicht in einem naturwissenschaftlichen Sinn algorithmisiert werden, […]. Gegen dieses naturwissenschaftliche Selbstverständnis der kognitiven Linguistik lässt sich argumentieren, dass ein Verstehen von Metaphern aus den Bemühungen eines in dieser Kultur sozialisierten Subjekts resultiert, das Sinn und Zusammenhang sucht. Die Identifikation von Metaphern und metaphorischen Konzepten kann daher als hermeneutischer Prozess beschrieben werden. [Schmitt 2011: 51]
Laut Schmitt [2011] geht bei Lakoff / Johnson verloren, dass Metaphern verstanden werden müssen [Schmitt 2011: 53]. Hinzu kommt, dass keine Angaben über die Erhebung des – rein linguistischen – Datenmaterials vorliegen, aus dem über passende Fälle auf kognitive Konzepte geschlossen wird, wobei die kommunikative und situative Bedeutung und insbesondere die Deutung der Teilnehmer an kommunikativen Interaktionssituationen vernachlässigt wird [vgl. Schmitt 2011: 51-52]. Eine intersubjektiv nachvollziehbare Methode der Metaphernkonstruktion auf der Grundlage von sprachlich-kommunikativen Manifestationen wird folglich durch Lakoff / Johnsons [1980] konzeptuellen Ansatz nicht gewährleistet. Sprachliche Metaphern werden vom Analysten kontextfrei bestimmt und bestimmten kognitiven Metaphernkonzepten zugeordnet, wobei die ausschlaggebenden Kriterien für die Bestimmung einer Beziehung zwischen Ausgangs- und Zielbereich, die i.Ü. nur für den Analysten transparent zu sein hat, nicht offengelegt werden.
Idealiter müsste die Interpretation einer Metapher, einer semantischen Beziehung zwischen Ausgangs- und Zielbereich, über eine metakommunikative Äußerung oder über eine Folgeaktivität des Adressaten erfolgen, die deutlich macht, dass dieser die metaphorische Beziehung adäquat interpretiert hat, z.B.:
A: Du bist auf dem Holzweg, wenn du denkst, dass du die Prüfung ohne ernsthafte Vorbereitung schaffen kannst. |
B: Doch, davon bin ich fest überzeugt. Ich kann meine Fähigkeiten schon richtig einschätzen und verrenne mich da nicht.3 |
Aus Bs Folgeturn ist ersichtlich, dass dieser die Metapher auf dem Holzweg sein in der Bedeutung ‚sich irren‘ interpretiert und folgerichtig As Warnung relativiert. Leider sind nur in den wenigsten Fällen derartige Folgeaktivitäten vorhanden, die eindeutig auf das Verständnis der Metapher hindeuten. Meist kann dies nur indirekt aufgrund bestimmter semantischer, aber auch ko- und kontextueller oder situativer Faktoren rekonstruiert werden. Für die semantische Rekonstruktion eignet sich besonders gut Sam Glucksbergs [2001] linguistisches interactive property attribution model. Dieses besagt, dass nur dann eine Metapher vorliegt, wenn für bestimmte Merkmale von topic (Zielbereich, ~Thema i.e.S.) und vehicle (Ausgangsbereich, ~Medium) ein tertium comparationis existiert, d.h. gemeinsame vehicle properties, die vom Ausgangsbereich auf den Zielbereich übertragbar sind. Dabei geben Zielbereiche von Metaphern „aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften bestimmte Dimensionen [die topic dimensions; GS) für die Merkmalsübertragung vor“ [Stöckl 2004: 203]). Gibt es derartige geteilte Bedeutungsmerkmale, schreibt Burger [2010: 26] den jeweiligen potentiell metaphorischen Ausdrücken eine „semantische Basis“ zu.
Schmale [2014], der sich mit bildhaften, a priori metaphorischen idiomatischen Ausdrücken beschäftigt, versucht, die Möglichkeit deren Interpretation über eine vorhandene semantische Basis bzw. über ko -und kontextuelle Elemente nachzuweisen, wobei er unterschiedliche Konstellationen beleuchtet. Entscheidend ist, dass keine isolierten Einzelausdrücke analysiert werden, sondern systematisch bildhafte lexematische Einheiten, Syntagmen oder Äußerungen im kommunikativen Kontext, sei er schrift- oder sprechsprachlich, so dass die Möglichkeit besteht, vorausgehende und eventuell nachfolgende Aktivitäten in Bezug auf den jeweiligen potentiell metaphorischen Ausdruck als zentrales Element in die Interpretation einzubeziehen.
In einem ersten Schritt werden die grundlegenden Annahmen der konzeptuellen Metapherntheorie skizziert (Punkt 1), wobei eine Beschränkung auf die wichtigsten Komponenten erfolgt, da andere Aufsätze des vorliegenden ELAD-Nummer, insbesondere der von Jamet / Terry, den Lakoff / Johnson-Ansatz ausführlich darstellen. Auf eine angedeutete kritische Bewertung wird allerdings nicht verzichtet. Im Anschluss daran ist Glucksbergs [2001] interactive property attribution model vorzustellen (Pkt. 2), auf dem die angestellten Untersuchungen möglicher Metaphern beruhen werden. Auch dieses Modell wird kritisch hinterfragt. Auf der Grundlage der Überlegungen der Punkte 1 und 2 werden im Anschluss an Schmale [2014] mögliche Metaphern in einem längeren Börsenbericht untersucht (Punkt 4). Zuvor muss allerdings ein Exkurs erfolgen, um zu klären, inwieweit ein an ein breites Fernsehpublikum gerichteter Bericht von der Börse der Fachsprache zugerechnet werden kann (Punkt 3). Abschließend stellt der vorliegende Beitrag anhand der erarbeiteten Resultate weitere Überlegungen zu einem Konzept der „möglichen Metapher“ an, das in Schmale [2014] im Anschluss an Seltings [1995: 210] „möglichen Satz“ vorgelegt wurde.
1. Lakoff / Johnsons Theorie der konzeptuellen Metapher
Als Grundlage der kognitiven Metapherntheorie kann folgende Aussage Lakoff / Johnsons [1980] gelten4, wobei man allerdings präzisieren muss, dass es sich um das Verständnis („understanding“) des Sprechers oder Produzenten des jeweiligen als metaphorisch geltenden Ausdrucks handeln muss, da man bezüglich des Verstehens des Hörers oder Adressaten im Grunde über keinerlei Aufschlüsse verfügt.
The essence of metaphor is understanding and experiencing one kind of thing in terms of another. [Lakoff & Johnson 1980: 11; kursiv im Original]5
Lakoff [1993] illustriert diese Relation durch das berühmte „love is a journey“-Beispiel und präzisiert das Übertragungsverhältnis durch das Paar “source domain” – “target domain“, das auch bereits von Lakoff / Johnson [1980: 177] verwendet wurde:
The metaphor involves understanding one domain of experience, love, in terms of a very different domain of experience, journeys. More technically, the metaphor can be understood as a mapping (in the mathematical sense) from a source domain (in this case, journeys) to a target domain (in this case, love). [Lakoff 1993: 5]
Schon sehr viel früher führt Weinrich [1958; 1967] in seiner Bildfeldtheorie, die er im Anschluss in eine literaturwissenschaftlich orientierte Metaphernanalyse ausweitet (cf. Weinrich [1976]), die Begriffe Bildspender(bereich) und Bildempfänger(bereich) ein; Liebert [1992: 31] gebraucht Herkunfts- und Zielbereich, Burger4 [2010: 88] Ausgangs- und Zielbereich. In der englischsprachigen Literatur findet man, allerdings u.U. in anderen Paradigmen gründend, vehicle und topic bei Glucksberg [2001] oder vehicle und focus bei [Steen 1999]. Alle basieren aber grosso modo, wenn auch nicht explizit, auf der aristotelischen Übertragung der „eigentlichen“ Bedeutung eines Begriffes auf eine „uneigentliche“, mit dem Ziel, einen mehr oder weniger abstrakten Sachverhalt mithilfe eines konkreten zu bezeichnen.
Auch wenn Lakoff / Johnsons Analysen, wie erwähnt, von der repräsentierten linguistischen Form von Äußerungen ausgehen, die i.Ü. von den Autoren gesammelten „passenden“ Einzelbeispielen und nicht Textkorpora entstammen, so werden Metaphern bei ihnen nicht als primär sprachliche Phänomene betrachtet, sondern vielmehr als konzeptuelle Einheiten des Denkens (vgl. Stöckl [2004: 202]).
Metaphor is fundamentally conceptual, not linguistic, in nature. Metaphorical language is a surface manifestation of conceptual metaphor. [Lakoff 1993: 39]
So ist es erklärbar, dass einem Konzept mehrere sprachliche Ausdrücke entsprechen. Das Konzept argument is war oder argumentation / diskussion ist krieg6 beispielsweise kann durch die Phraseme schwere Geschütze auffahren, sich ein Wortgefecht liefern, jmdm in die Parade fahren, einen Standpunkt angreifen oder verteidigen und viele andere mehr sprachlich ausgedrückt werden.
Dabei müssen selbstverständlich nicht sämtliche Bedeutungsmerkmale der Konzepte von Ausgangs- und Zielbereich übereinstimmen, es werden vielmehr nur die aus dem „source domain“ aktualisiert, die zum metaphorischen „target domain“ passen.
The very systematicity that allows us to comprehend one aspect of a concept in terms of another (e.g., comprehending an aspect of arguing in terms of battle) will necessarily hide other aspects of the concept. In allowing us to focus on one aspect of a concept (e.g., the battling aspects of arguing), a metaphorical concept can keep us from focusing on other aspects of the concept that are inconsistent with that metaphor. For example, in the midst of a heated argument, when we are intent on attacking our opponent's position and defending our own, we may lose sight of the cooperative aspects of arguing. Someone who is arguing with you can be viewed as giving you his time, a valuable commodity, in an effort at mutual understanding. But when we are preoccupied with the battle aspects, we often lose sight of the cooperative aspects. [Lakoff & Johnson 1980: 10]
Lakoff / Johnson [1980: 13-15] sprechen hier von „highlighting“ (Hervorhebung, in den Vordergrund stellen, Aktualisierung) und „hiding“ (in den Hintergrund stellen, Verbergen, Ausblenden), ohne ein genaues Verfahren darzustellen, wer – der Analyst, der Metaphernproduzent oder der Rezipient – aufgrund welcher Kriterien welche Merkmale selektiert.
Im Grunde werden Metaphern von der kognitiven Metapherntheorie nicht direkt über (kognitive) Konzepte bestimmt, sondern „umgekehrt in einer Art Rekonstruktion der konzeptuellen Metaphern aus dem empirisch erfaßbaren Sprachmaterial“ [Jäkel 2003: 23].
Lakoff / Johnson [1980: 7] begründen diese Vorgehensweise wie folgt:
Since metaphorical expressions in our language are tied to metaphorical concepts in a systematic way, we can use metaphorical linguistic expressions to study the nature of metaphorical concepts.
Schmitt [2011: 51] bemerkt dazu kritisch, dass man „[i]n Anlehnung an die Kritik Habermas‘ [1968: 300] an Freud […] von einem ‚szientistischen Selbstmissverständnis‘ der kognitiven Linguistik sprechen“ könne. Habermas meinte, dass Freud „lediglich“ eine bestimmte Hermeneutik entwickelt habe. Für eine ähnliche Haltung gegenüber der kognitiven Linguistik plädiert Schmitt: Die Beziehungen zwischen Ausgangs- und Zielbereich sind nicht objektiv gegeben, sondern bedürfen der Interpretation. Eine nachvollziehbare Methodik für die Erstellung von Metaphernlisten, für die sie universelle Gültigkeit beanspruchen,7 bieten Lakoff / Johnson [1999: 50-52] allerdings nicht an; ihrer Methode „findings und discoveries“ liegt eine eher intuitive Vorgehensweise zugrunde.
Bei den Kognitivisten geht es nicht darum nachzuweisen, ob der Produzent eines Ausdrucks diesen intentionell als Metapher konzipiert hat, auch nicht, ob der Adressat ihn als solchen versteht, sondern um eine oft kontextfreie Bestimmung von Konzepten auf der Grundlage gesammelter Äußerungen, denen dann Konzepte zugeordnet werden.
Interpretationen von Metaphern sind jedoch von persönlichen, sozialen, kulturellen, ko- und kontextuellen Faktoren usw. abhängig und können ganz unterschiedlich ausfallen, ausnahmslos Aspekte kommunikativer und situationeller Bedeutung, die von Lakoff / Johnson zugunsten der kognitiven und textuellen Dimension potentiell metaphorischer Ausdrücke vernachlässigt werden (vgl. Lakoff & Johnson [1999: 50-52]).8
Schmitt ist deshalb völlig zu Recht der Ansicht:
[…] es verdichten sich die Hinweise, dass die Ergebnisse von Metaphernanalysen nur mit Angabe der konkreten kommunikativen Situation sinnvoll diskutiert werden können, […]. [Schmitt 2011: 52]
Da jedoch selbst bei zur Verfügung stehenden ko(n)textuellen und situativen Informationen nicht immer (ein)eindeutig entschieden werden kann, ob der Adressat eines bildhaften Ausdrucks diesen tatsächlich als Metapher interpretiert, eine Bestimmung von Metaphern auf der Grundlage von Folgeaktivitäten in konversationsanalytischer Manier also kaum möglich ist, muss eine andere Methodik zur Anwendung kommen.
So meint Colston [2015], dass die Interpretation von Metaphern allein auf der Grundlage weitverbreiteter Kenntnisse etablierter Metaphern oder sozialer Normen erfolgen kann.
Metaphors, even novel ones, that make use of widely used conceptual metaphorical mappings between source and target domains probably can be relied on to achieve their meaning in normal adult addressees/hearers. So long as the metaphors additionally do not rely on complex mapping structures or specialized instantiations of the source domains, then strict consultation of common ground for familiarity likely would not be necessary. Other figures also may omit or reduce common-ground consultation and still achieve aptness. Interlocutors using these forms can rely on many social norms and environmental expectancies when speaking figuratively. Norms and expectancies constitute a deep form of community co-membership. […] Speakers should not have to consider whether their interlocutor(s) have this knowledge. [Colston 2015: 130]
Um kontextuelle, d.h. nicht konventionalisierte Metaphern zu verstehen, kann lt. Colston [2015] jedoch Weltwissen notwendig sein (cf. 130), so dass bei dessen Fehlen kein Verständnis erfolgen kann. Aber auch bei Colston erfolgt die Interpretation intuitiv, genaue Bestimmungskriterien werden nicht formuliert.
Für Burger [2010] beruhen Metaphern dagegen auf semantischen Relationen,
die dem System der Sprache zuzusprechen sind, die von durchschnittlichen Sprechern jederzeit nachvollziehbar sind, die also nicht nur […] unter individuellen situativen oder kontextuellen Bedingungen eine Rolle spielen. [Burger 2010: 69]9
Auch Stöckl [2004: 208] stellt fest,
dass […] der Sprachbenutzer […], um metaphorische Ausdrücke zu verstehen, die zugrunde liegende konzeptuelle Projektion zwischen den Wissensdomänen (wieder)erkennen [muss].
In gleicher Weise argumentiert Steen [2011: 49]:
Contrary to the position of the old contemporary theory, it (i.e. the metaphor) may predominantly reside in language structure without giving rise to much metaphorical thought, simply because it is processed via lexical disambiguation.
Stöckl stellt gleichzeitig die wichtige Frage, „woher der Rezipient weiß, welche semantischen Merkmale auf den Zielbereich übertragen werden sollen“. […] [Stöckl 2004: 203] Da die Linguistik hierauf keine Antwort geben kann, auch Sprecherbefragungen keinen Aufschluss erbringen würden, müssen semantische Kriterien herangezogen werden. Sind Merkmale des lt. Burger wörtlich zu interpretierenden Ausgangsbereiches auf den nicht semantisch kompositionell zu dekodierenden Zielbereiches übertragbar, liegt für Burger eine Metapher vor, da eine semantische Basis existiert. Existiert eine derartige semantische Basis nicht, d.h. Merkmale des Bildspenders sind nicht auf den Bildempfänger übertragbar, kann man nicht auf eine Metapher schließen. So wäre für das Idiom die Nadel im Heuhaufen suchen im Sinne von ‚ein äußerst mühsames, fast unmögliches Unterfangen‘ eine semantische Basis vorhanden, da der Erfolg der beschriebenen Aktivität einen unglaublichen Aufwand erfordert bzw. höchst unwahrscheinlich ist.10 Für Rabeneltern (sein)11 gibt es dagegen keine semantische Basis, da der Interpretant wissen muss, dass Raben ihre Brut anderen Vögeln ins Nest legen, sich also nicht selbst um ihren Nachwuchs kümmern, folglich schlechte Eltern sind. Weiß man dies nicht, könnte man sogar das Gegenteil interpretieren, da sich Vögel in der Regel ausgezeichnet um ihren Nachwuchs kümmern, man denke an die Bilder, auf denen sich weitgeöffnete Schnäbel des Nachwuchses aus den Nestern den Eltern entgegenstrecken.
Die Bestimmung einer derartigen semantischen Basis ist dann relativ problemlos, obwohl sie noch nichts über die tatsächliche Interpretation von Adressaten aussagt, wenn es um stark konventionalisierte Idiome und / oder transparente Bilder geht. Handelt es sich allerdings um ad hoc-Metaphern, die in der Situation neu gebildet werden, muss bei fehlenden offensichtlichen Hörerinterpretationen eine genaue semantische Analyse der Bedeutungsmerkmale von Ausgangs- und Zielbereich erfolgen, um deren partielle Identität zu eruieren, die eine Übertragung und somit den Schluss auf eine Metapher erlauben würde.
Sam Glucksbergs [2001] interactive property attribution model scheint dafür eine geeignete Grundlage zu liefern und wird deshalb im nächsten Abschnitt vorgestellt und diskutiert.
2. Glucksbergs interactive property attribution model
Im Gegensatz zur skizzierten und für zu stark interpretativ befundenen kognitiven Metapherntheorie geht der linguistische Ansatz Sam Glucksbergs [2001] davon aus, dass
Metaphern sprachlich-begrifflich repräsentiert sind und in der Rezeption eine kontextsensible pragmatische Manipulation von sprachlichen Bedeutungen erfordern [Stöckl 2004: 202].
Anders als im kognitiven Metaphernmodell, demzufolge Sprachbenutzer in bestimmten Situationen Metaphern als konzeptuelle Einheiten des Denkens aktualisieren, müssen diese im Anschluss an Glucksbergs linguistischen Ansatz semantische Merkmale des „vehicle“ (dem „source domain“ Lakoff / Johnsons) und des „topic“ (dem „target domain“ bei L/J) abgleichen.
Nur dann, wenn bestimmte Merkmale des „vehicle“, die „vehicle properties“, mit den „topic dimensions“ vereinbar sind, liegt eine Metapher vor.
Die Selektionsfunktion des ‚topic‘ für die Attribuierung von ‚vehicle properties‘ wird mit dem Begriff der ‚topic dimensions‘ gefasst. D.h. Zielbereiche von Metaphern geben aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften bestimmte Dimensionen für die Merkmalsübertragung vor. [Stöckl 2004: 203]
Für Glucksberg [2001] selbst handelt es sich um eine interaktive Beziehung zwischen „vehicle“ und „topic“ der jeweiligen Metapher, daher die Bezeichnung „interactive property attribution model“.
Our interactive property attribution view of metaphor comprehension thus makes two independent claims. The first claim is that metaphor vehicles and topics play different but interactive roles. A metaphor topic provides dimensions for attribution, while a metaphor vehicle provides properties to be attributed to the topic. [Glucksberg 2001: 53; Hervorhebung GS]
Er illustriert die Beziehung zwischen Medium (vehicle) und Thema (topic) an folgendem Beispiel, das relevante Eigenschaften des Mediums illustriert.
Metaphors work via an interaction between the metaphor vehicle and the metaphor topic. In nominal metaphors, salient properties of the vehicle are attributed to the topic. Thus, in the assertion her letter was a dagger in his heart, properties of the vehicle dagger, such as piercing, wounding, perhaps even killing, are attributed to the topic, her letter. In predicative metaphors, salient characteristics of actions or other verb-referents are attributed to the subject or object of an assertion, as in consumed by guilt and shame, Fred finally grasped his fate. In this assertion, Fred is characterized as being either destroyed or totally engrossed (consumed) by feelings of shame and guilt and also as fully understanding (grasping) what will happen to him. [Glucksberg 2001: 52; Hervorhebungen im Original]
Gleichzeitig weist Glucksberg darauf hin, wohl im Anschluss an Lakoff / Johnsons [1980: 13-15] „highlighting and hiding“-Prinzip bei der Metapherverwendung, dass nur bestimmte Typen von „property attributions“ des „vehicle“ für das jeweilige „topic relevant sind. Im vorstehenden Fall von Dolch und Brief wären alter, wert, material, gewicht, länge, besitzer des Dolches als ebenfalls existierende Merkmale des Mediums für das das Thema‚ Brief im vorliegenden Kontext irrelevant, könnten es in einem anderen Zusammenhang aber durchaus werden.
Diese „vehicle dimensions“, die Eigenschaften (properties) oder Merkmale des Mediums, interagieren mit den „attributional dimensions“ des Themas, da, wie gezeigt, nicht sämtliche Merkmale des Mediums für das Thema relevant sind. Das „topic“ selektiert also letztendlich auf dieses zutreffende Merkmale, so dass eine Schnittmenge aus „vehicle“ und „topic“ entsteht, die man mit dem aus der Rhetorik stammenden Begriff des tertium comparationis bezeichnen kann. Dazu wiederum eine Illustration Glucksbergs:
With respect to topics, the number of relevant attributional dimensions varies from topic to topic. Topics with relatively few such dimensions place a high level of constraint on potential attributions. The topic lawyer, for example, is likely to be characterized on relatively few dimensions, among them skill, experience, temperament, ambition, reputation, and cost. It would be highly unlikely that any given lawyer would be characterized qua lawyer on dimensions that are irrelevant to the practice of law, such as height, weight, or musical talent. Topics such as lawyer thus impose a high level of constraint on potential attributions. In contrast, other topics such as my brother provide very few constraints on potential attributions because one might say almost anything about one’s brother. Metaphor topics, then, can vary in terms of the level of constraint that they place on interpretation. High-constraining topics produce limited expectations about how they might be characterized, whereas low-constraining topics produce relatively unlimited expectations about how they might be characterized. [Glucksberg 2001: 54-55]
Glucksberg unterscheidet hier stark restringierende Themen („high-constraining topics“), die mögliche Merkmalzuschreibungen stark einengen, von schwach restringierenden Thementypen („low-constraining topics“), die quasi unbegrenzte Merkmalszuschreibungen zulassen. Und so wie Themen eine unterschiedliche Zahl relevanter Dimensionen ermöglichen können, so können auch Eigenschaften des Mediums mehr oder weniger stark in der Zahl der Eigenschaften variieren, die dem Thema zugeschreibbar sind (vgl. Glucksberg [2001: 55]). Dabei sind einige „metaphor vehicles“ quasi unzweideutig, indem sie nur ein einziges Merkmal aufweisen, wie im Falle von Hai oder Gefängnis. Haie sind – fälschlicherweise – der Inbegriff des hinterhältigen und blutrünstigen Raubtieres; Gefängnis steht für eine unangenehme, die Freiheit einschränkende Situation, so dass sie auch nur auf entsprechend definierbare Thementypen übertragen werden können. Wieder andere Metapherntypen sind dagegen relativ mehrdeutig, indem sie keine (ein)eindeutige Zuordnung von Eigenschaften des Mediums zum Metaphernthema erlauben. Dies wäre lt. Glucksberg bspw. bei der Metapher eine Reise auf den Grund des Meeres der Fall, in dem Reise für keine bestimmte Kategorie steht, so dass man nicht weiß, welche Eigenschaften dem Thema zugewiesen werden können (vgl. Glucksberg [2001: 55]).
Daraus folgt nachstehendes interaktives Prinzip, das lt. Glucksberg das Verstehen von Metaphern steuert:
Understanding a metaphor […] requires two kinds of semantic and world knowledge. First, one must know enough about the topic to appreciate which kinds of characterizations are relevant and meaningful (i.e., the relevant dimensions of within-category variation of the topic concept). Second, one must know enough about the metaphor vehicle to know what kinds of things it can epitomize. Given this knowledge base, one can readily understand metaphors with ambiguous vehicles when the metaphor topic is high-constraining (i.e., has relatively few attributional dimensions). Similarly, one can readily understand metaphors with low-constraining topics (i.e., with many attributional dimensions) when the metaphor vehicle is reasonably unambiguous. In this sense, metaphor topics and vehicles are used interactively to generate interpretations. [Glucksberg 2001: 55]
Das o.a. Reise-Beispiel, in dem laut Glucksberg keine unmittelbar zugängliche Zuordnung von „vehicle“-Eigenschaften zu einem bestimmten Thema erfolgen kann, wirft aber nun ein Problem auf. Bei kontextfreier Interpretation ist dies zweifellos richtig, im spezifischen situativen Kontext wäre eine Übertragung bestimmter ausgewählter Eigenschaften auf das Konzept Reise aber zweifellos realisierbar. Dass Glucksberg derartige kontextfreie Zuschreibungen vornimmt, ist überraschend, wenn er an anderer Stelle sagt, dass „literal language is not context independent and unproblematic“ [Glucksberg 2001: 11] ist. Wie kann die Interpretation von tertia comparationa von „vehicle“ und „topic“ kontextfrei erfolgen, wenn schon wörtliche, nicht-metaphorische Bedeutungen kontextsensitiv interpretiert werden müssen?
Glucksberg vergleicht schließlich die Interpretation wörtlicher und metaphorischer Bedeutungen, woraus man schließen kann, dass letztere ebenfalls den Rückgriff aus kontextuelle Informationen erforderlich machen.
When one encounters a metaphorical expression, there is no principled reason for a literal interpretation to take precedence over a metaphorical one, given that even initial word recognition and literal decoding are context sensitive. [Glucksberg 2001: 17]
Es wäre in der Tat unlogisch zu behaupten, dass semantisch kompositionelle, „wörtliche“ Interpretationen den Rückgriff auf den Kontext notwendig machen, semantisch nicht kompositionelle bildhafte Metaphern jedoch nicht. I.Ü. meint Glucksberg, dass
(a) nonliteral understanding is not in principle more effortful or more complex than literal understanding; (b) nonliteral understanding can be as data driven (i.e., automatic and nonoptional) as literal understanding; and (c) metaphors are not implicit comparisons and so are not understood via a comparison process. [Glucksberg 2001: 11]
Glucksbergs interactive property attribution model soll im Folgenden die Grundlage für die Analyse eines längeren Berichts eines Korrespondenten an der Frankfurter Börse zur projektierten Fusion zweier deutscher Großbanken bilden. Anders als bei Glucksberg werden dabei allerdings systematisch ko- und kontextuelle Faktoren einbezogen, um die semantische Interpretation von Merkmalen des Mediums und Themendimensionen („topic dimensions“) auf „teilnehmerrelevante Füße“ zu stellen – soweit dies realisierbar ist, was zu prüfen sein wird.
3. Exkurs – Ein an das breite Publikum gerichteter Börsenbericht als Fachsprache?
Obwohl der Titel des vorliegenden Beitrages Mögliche Metaphern in der Fachsprache lautet, wird als Untersuchungsgrundlage ein Börsenbericht des deutschen Fernsehsenders ARD gewählt, der sich an das breite Fernsehpublikum wendet, also keineswegs an Spezialisten aus dem Bereich Börsenhandel, Ökonomie, Wirtschaft usw. Legt man die Definition des DUWB des Begriffes ‚Fachsprache‘ zugrunde – „Sprache, die sich vor allem durch Fachausdrücke von der Gemeinsprache unterscheidet“ –, könnte man geneigt sein, das gewählte Korpus (s. Pkt. 4) der Gemeinsprache, nicht aber der Fachsprache zuzurechnen, da im Grunde mit Ausnahme von Fusion, fusionieren, Kurs keine Fachausdrücke12 verwendet werden. Gegen ein derartiges vorschnelles Urteil spricht allerdings folgende Aussage Lerats [1995]:
Une langue spécialisée ne se réduit pas à une terminologie : elle utilise les dénominations spécialisées (les termes), y compris des symboles non linguistiques, dans des énoncés mobilisant les ressources ordinaires d’une langue donnée. On peut donc la définir comme l’usage d’une langue naturelle pour rendre compte techniquement de connaissances spécialisées. [Lerat 1995: 21]
In Abgrenzung zu der im Anschluss an Wüsters [1979] Terminologie-Ansatz lange vorherrschenden Vorstellung von fachsprachlichem Gebrauch als „langue de spécialité“, als Spezialsprache oder Technolekt, begründete Lerat [1995] einen Ansatz, der Fachsprache als eine natürliche Sprache versteht, die als Fundament für den Ausdruck von Spezialkenntnissen dient, dabei aber durch lexikalische und teilweise auch syntaktische Elemente angereichert wird.13
Schon Hoffmann [1987] hatte den Begriff Fachsprache als weit über die reine Terminologie hinausgehend gefasst:
Fachsprache – das ist die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten. [Hoffmann 1987: 53]
Bei Hoffmann [1987] beschränkt sich Fachsprachengebrauch folglich nicht auf die Anreicherung der Gemeinsprache durch spezifische lexikalische Einheiten, sondern umfasst sämtliche sprachlichen Mittel. Er kündigt somit bereits die diskursive oder kommunikative Ausrichtung der Fachsprachenforschung an, die Fachsprachen als Spezialdiskurse oder spezialisierte Diskurse verstehen (vgl. dazu Gautier [2017: 1-4]).
Objekt der Fachsprachenforschung ist nicht mehr die rein linguistische Form, sondern die spezifische Ausprägung des Fachsprachengebrauchs im Diskurs, in der Kommunikation, deren Formen über Lexis und Morphosyntax hinausgehen. (Schmale/Hrsg. [2018: 18])
Die skizzierten Auffassungen von Fachsprache als ein auf der Gemeinsprache basierender spezialisierter Diskurs macht nun eine sehr viel differenziertere Sichtweise dessen, was als fachsprachlicher Diskurs gelten kann, möglich. Denn so lässt sich eine Skala mit den Endpunkten Gemeinsprache einerseits und Fachsprache andererseits ansetzen, auf der die unterschiedlichen Manifestationen fachsprachlichen Diskurses verortet werden können. Während jedoch ein Gespräch über den Gartenzaun eindeutig dem Endpunkt Gemeinsprache zugeordnet werden kann, vorausgesetzt man spricht nur über das Wetter und nicht über die Technik des neuesten Smartphones, kann es eine reine Fachsprache nie geben, da diese immer auf nicht-terminologische Lexik (Artikel, Possessiva, Hilfsverben usw.) und normalsprachliche Morphosyntax angewiesen ist.14 So kann ein Gespräch unter behandelnden Ärzten von einer Vielzahl von griechischen oder lateinischen Fachtermini durchsetzt sein, die dem Laien a priori unverständlich sind,15 dennoch können sie nicht auf den Rückgriff auf die Normalsprache verzichten. Zwischen den Endpolen ‚Normalsprache – Fachsprache‘ kann es eine Reihe unterschiedlicher Konstellationen geben, die jeweils mehr oder weniger stark gemein- oder fachsprachlich geprägt sind. So mag es bei einem Tischgespräch unter Freunden um technisch hochkomplizierte Themen gehen, die die Verwendung fachsprachlicher Ausdrücke notwendig machen, gleichzeitig aber auch um die praktischen Belange des Essens oder dessen Kommentierung.16 Andererseits kann ein grundsätzlich hochkomplexes Thema mit der Gemeinsprache zugehörigen Mitteln behandelt werden, wenn bspw. ein Neurologe anlässlich eines Vortrages vor Kollegen einen Schlaganfall mit einer Frucht mit Druckstellen (un fruit talé) oder ein Aneurysma mit einem Ball (ballon) vergleicht. In der gleichen Weise kann ein ökonomisch hochkomplexes Thema wie eine angestrebte Bankenfusion, um die es im analysierten Börsenbericht gehen wird (s. Pkt. 4), mit eher alltagssprachlichen Vergleichen oder Metaphern behandelt werden. Selbst wenn im strengen Sinne keine Fachtermini vorkommen, handelt es sich dennoch um einen dem fachsprachlichen Paradigma zugehörigen Diskurs. Schmitt ([2000]; cf. supra) weist schließlich dezidiert darauf hin, dass Fach- und Wissenschaftssprachen nicht ohne Metaphern auskommen können, um seine Kommunikate, seien sie nun an Laien oder Spezialisten gerichtet, verständlich auszudrücken.
Der i.F. behandelte Börsenbericht, mag er sich auch an der Schnittstelle von Spezialisten- und Laiendiskursen befinden, wird im folgenden Beitrag deshalb als Fachsprache deklariert und analysiert.
4. Mögliche Metaphern in einem Börsenbericht
Die Ausdrucksweise „mögliche Metaphern“ wird gewählt, um darauf hinzuweisen, dass es sich für den Analysten auf den ersten Blick um eine Metapher handelt. Erst eine detaillierte Analyse kann jedoch zeigen, ob es sich einerseits aus semantischer Perspektive um eine Überlappung (tertium comparationis) von Merkmalen des Mediums („vehicle properties“) mit Attributen des Themas („topic dimensions“) handelt, und ob andererseits die Adressaten der – potentiellen – Metapher diese auch tatsächlich als solche interpretieren. Die Analyse erfolgt am Beispiel der Börsennachrichten aus Frankfurt am Main des ARD Mittagsmagazins vom 1. Februar 2019. Hier die vorwiegend segmental transkribierte Aufnahme des Berichts von der Börse.17
(1) Moderatorin im ARD-Studio Jessy Wellmer (= M); Stefan Wolff, ARD-Korrespondent an der Frankfurter Börse (= W).
01 | M | wenn zwei sich zusammentun da kann was gutes bei rumkommen, |
02 | muss aber nich; und was würde ein bankenzusammenschluss überhaupt | |
03 | für uns verbraucher bedeuten; stefan wolf in frankfurt an der börse | |
04 | kann uns das bestimmt alles ein bisschen entwirren stefan; (.) | |
05 | die fusion von commerzbank und deutscher bank als letzte rettung, | |
06 | wie siehst du das, | |
07 | W | na ja aus der not heraus zu fusionieren ist selten ne richtich gute idee, |
08 | und die zahlen der deutschen bank zeigen ja DEUTlich | |
09 | dass es noch nich wirklich richtich rund läuft; im vierten quartal | |
10 | rutscht die deutsche bank sogar wieder in die roten zahlen, | |
11 | vor allem das investmentbanking fuhr verluste ein, | |
12 | das ist unter anderem der handel mit aktien und anderen wertpapieren; | |
13 | und der mit abstand wichtigste geschäftszweig der deutschen bank; | |
14 | dazu kommen jede menge andere probleme- | |
15 | die lange liste der skandale ist noch nicht abgearbeitet, | |
16 | der vielbeschworene kulturwandel hat nicht stattgefunden; | |
17 | doch für eine neue unternehmenskultur ist christian sewing | |
18 | nicht angetreten;er soll die deutsche bank wieder auf gewinne trimmen, | |
19 | das ist nach drei verlustreichen jahren im ANsatz gelungen, | |
20 | doch es ist noch ein stück des weges zu gehen; | |
21 | eine fusion würde da eher nur neue baustellen aufreißen; | |
22 | M | stefan wie steht denn die deutsche bank |
23 | überhaupt im internationalen Vergleich da; | |
24 | W | ja deutsche banken haben sich generell deutlich langsamer |
25 | von der finanzkrise erholt als die europäische konkurrenz, | |
26 | von den amerikanern brauchen wir da gar nicht zu reden, | |
27 | die verdienen mehr geld denn je; die börse spiegelt das, | |
28 | im vergangenen jahr ist der kurs der deutschen bank kräftich gefallen, | |
29 | in deutschland ist sie zwar immer noch nummer eins, | |
30 | unter den bankenriesen europas ist die deutsche bank aber n zwerg; | |
31 | die britische hsbc ist mit abstand der branchenführer; | |
32 | die nummer zwei, die spanische banco santander ist nur halb so groß, | |
33 | es folgt die französische bnp paribas; | |
34 | die deutsche bank ist nur ein bruchteil von der hsbc wert; | |
35 | es gab ja auch die überlegung die deutsche bank und die bnp | |
36 | zu einem europäischen champion zu verschmelzen, | |
37 | an sich ne ganz gute idee- doch eine solche fusion, | |
38 | würde nicht auf augenhöhe stattfinden | |
39 | dafür ist die deutsche bank einfach zu klein; | |
40 | M | hm hm und wie bei allen anderen großen plänen und ideen |
41 | kann man schon auch mal die sinnfrage stellen, | |
42 | wie sinnvoll ist aus sicht der experten eine fusion überhaupt; | |
43 | W | na eher nicht so; auch wenns politisch gewollt ist, |
44 | das würde tausende arbeitsplätze kosten; | |
45 | die deutsche bank‘ und die commerzbank | |
46 | haben zwei völlig unterschiedliche geschäftsmodelle, | |
47 | die commerzbank setzt stark auf den mittelstand und privatkunden, | |
48 | die deutsche bank auf das investmentbanking- das privatkundengeschäft | |
49 | hat sie durch die übernahme der postbank gestärkt; | |
50 | schon dort treffen zwei völlig unterschiedliche unternehmenskulturen | |
51 | aufeinander; beide banken haben also ihre probleme; | |
52 | größe allein hilft da nicht weiter, | |
53 | deshalb ist diese fusion erst einmal nicht sonderlich sinnvoll, | |
54 | denn aus zwei ackergäulen macht man kein rennpferd. | |
55 | M | (lacht ganz leicht)+ vielen dank stefan wolff in frankfurt am main; |
Die gesamte Sequenz wurde i.Ü. nicht unmittelbar aus der ZDF-Mediathek heruntergeladen, sondern erst später, nämlich im Anschluss an das Anschauen des ZDF-Mittagsmagazins vom 1.2.19, bei dem der stark bildlich-idiomatische,18 äußerungswertige Ausdruck Aus zwei Ackergäulen macht man kein Rennpferd (Z. 54) sofort ins Auge stach und als typischer Fall einer nicht konventionalisierten Metapher notiert wurde.19 Erst in einem zweiten Schritt wurde aus Beleggründen und um zumindest einen minimalen Kontext für diesen bildlichen Ausdruck zu gewinnen, die gesamte Sequenz abgespeichert und transkribiert. Dabei fiel auf, dass der formal interaktiv gestaltete aber inhaltlich eher monologische Börsenbericht nicht nur die zitierte, sondern eine ganze Reihe anderer mono- und polylexikaler möglicher metaphorischer Ausdrücke enthält. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, hier nachstehend zwei Klassen von (möglichen) Metaphern, einerseits monolexikale, (Substantive, Verben), andererseits polylexikale Ausdrücke:20
- Monolexikale metaphorische Lexeme – Substantive:
Fusion (05, 21, 37, 42, 53)21, (Banken)Riesen, Zwerg (30), (Branchen)Führer (31), Übernahme (49).
- Monolexikale metaphorische Lexeme – Verben:
entwirren (04), fusionieren (07), rundlaufen (09), (Verluste) einfahren (11), antreten für (17), (auf Gewinne) trimmen (18), spiegeln (27), (Kurs) fallen (28), verschmelzen (36), kosten (44), setzen auf (47), aufeinandertreffen (50).
Davon ausgehend, dass man prinzipiell über „normales“ lexikalisches Wissen verfügen muss, um überhaupt eine x-beliebige sprachliche Produktion verstehen zu können, selbst wenn sie keine idiomatischen Spezialkenntnisse oder besonderes Allgemein- oder Weltwissen erfordern, lässt sich feststellen, dass sämtliche monolexikalen Substantive und Verben eine semantische Basis besitzen, wesentliche semantische Elemente der wörtlichen Bedeutung des Ausgangsbereiches folglich auf den Zielbereich übertragbar sind. Die vorstehenden monolexikalen Lexeme besitzen also tatsächlich eine metaphorische Bedeutung, sind folglich nicht mögliche, sondern echte Metaphern.
All diese monolexikalischen Einheiten lemmatisiert das Duden Universalwörterbuch (DUWB) i.Ü. grosso modo in ihrer ursprünglich wörtlichen, aber auch übertragen bildlich-metaphorischen Bedeutung, wie die nachstehende Tabelle 1 belegt.
Tabelle 1: DUWB-Einträge für metaphorische Substantive
Nomen der Sequenz | Lemma des DUWBa |
Fusion (05 etc.) | Verschmelzung zweier od. mehrerer Unternehmen od. [politischer] Organisationen (von lat. ‚Fusio‘: Gießen, Schmelzen vom Verb ‚fundere‘)b |
(Banken)Riesen | in Märchen, Sagen u. Mythen auftretendes Wesen von übergroßer menschlicher Gestalt: ein wilder, böser, gutmütiger, schwerfälliger R.; Ü er ist ein R. (ein sehr großer, kräftiger Mensch, Hüne); er ist ein R. an Geist, Gelehrsamkeit (ist sehr klug, gelehrt); die felsigen -n (die sehr hohen Berge) Südtirols; -n (Hochhäuser) aus Beton und Glasc |
Zwerg (30) | (in Märchen u. Sagen auftretendes) kleines, meist hilfreiches Wesen in Menschengestalt […]; kleinwüchsiger Mensch; kleiner Mensch; Zwergsternd |
(Branchen)Führer (31) | leitende Person einer Organisation, Bewegung o.Ä.: ein erfahrener F.; der F. einer Bewegung, Parteie |
Übernahme (49) | a) etw., was jmdm. übergeben wird, entgegennehmen: den Staffelstab ü.; Waren ü.; b) als Nachfolger in Besitz, Verwaltung nehmen, weiterführen: sie hat das Geschäft [ihres Vaters] übernommen; er übernahm den Hof in eigene Bewirtschaftung; die Küche haben wir vom Vormieter übernommen; den Konkurrenten feindlich ü. (ihn gegen dessen Willen durch Kauf der Aktienmehrheit o. Ä. in seinen Besitz bringen) f |
a. Zitiert nach der CD-Version von 2007 der 6. Überarbeiteten und erweiterten Auflage des DUWB. b. Das DUWB gibt noch die Spezial bedeutungen aus Biologie, Optik und Physik an. c. Auf die Angabe der Spezialbedeutungen wird – wie auch bei den folgenden Lemmata – verzichtet. d. Die DUWB-Definition scheint unvollständig zu sein. Das Merkmal Zwerg kann generell Lebewesen oder „Objekten“ zugeschrieben werden, die als sehr klein gelten, so auch Zwergziege, Zwergkaninchen, Zwergstaat, Zwergplanet. S. die zahlreichen Komposita unter http://corpora.uni-leipzig.de/de/res?corpusId=deu_newscrawl_2011&word=Zwerg* (12/04/2019). Zwerg in unmittelbarer Nachbarschaft von Bankenriese ist deshalb sofort verständlich. e. Dass auch eine Organisation, hier eine Branche, oder ein Verein, die aus Personen bestehen, Führer sein kann, verschweigt das DUWB. f. Es wird die DUWB-Definition des Verbes übernehmen zitiert, da man bei Übernahme lediglich das Übernehmen als Erklärung findet. |
Es kann deshalb im Grunde kein Zweifel daran bestehen, dass für einen kompetenten Muttersprachler, von dem ausgegangen werden muss22, die gemeinsamen Merkmale der wörtlichen und metaphorisch-übertragenen Bedeutung der vorstehenden Nomen unmittelbar erkenntlich sind. Bei Zusammenschlüssen und Fusionen im Sinn von Vereinigung oder Verschmelzung hat man keine andere Interpretationsmöglichkeit; Riesen sind sehr groß, Zwerge sehr klein; jemand, der ein Führer in einem Bereich ist, leitet oder steht an der Spitze; bei einer Übernahme wird etwas von einer Hand in die andere übergeben und übernommen.
Ähnlich verhält es sich bei den Verben der Tabelle 2.
Tabelle 2: DUWB-Lemmata für metaphorische Verben
Verb der Sequenz | Lemma des DUWB |
entwirrren (04) | 1. (ungeordnet Verschlungenes) auseinanderziehen, ordnend auflösen: einen verknoteten Bindfaden nicht e. können; 2. a) die Unklarheit, Schwierigkeit einer Sache auflösen: die politische Lage e.; b) <e. + sich> seine Unklarheit, Schwierigkeit verlieren u. sich auflösen lassen: die Lage entwirrte sich |
fusionieren (07) | mit einem od. mehreren Unternehmen verschmelzen: der Verlag fusionierte mit einem größeren Unternehmen (s.o. Fusion) |
rund laufen (09) | rund: in sich abgerundet u. vollkommen: der Wein hat einen -en Geschmack, ein -es Bouquet; ein -er (voller, abgerundeter) Klang; ein -er (ugs.; in jeder Hinsicht zufriedenstellender) Erfolg; eine -e (ugs.; überzeugende) Leistung; der Motor läuft r. (ugs.; ruhig, gleichmäßig); bei uns läuft alles r. (ugs.; ist alles in Ordnung, klappt alles); laufen: ~ gut funktionierena |
(Verluste) einfahren (11) | a) (als Ernte) in die Scheune bringen: das Korn e.; Ü wir haben am kalten Büfett ganz schön eingefahren (ugs. scherzh.; große Mengen gegessen); b) (ugs.) erzielen, erwirtschaften: Gewinne, Verluste e |
antreten für (17) | a) sich zu etw. anschicken, mit etwas beginnen: eine Reise, den Heimweg a.; sie hat eine neue Stelle, die Lehrzeit angetreten; eine Strafe a. (abzubüßen beginnen); den Urlaub a.; die Regierung a.; b) übernehmen: jmds. Nachfolge, ein Amt, ein Erbe a |
trimmen auf (18) | 1. durch sportliche Betätigung, körperliche Übungen leistungsfähig machen: er trimmt seine Schützlinge; sich täglich durch Waldläufe t.; Ü sie hat seinen Sohn für die Klassenarbeit getrimmt; 2. (ugs.) [durch wiederholte Anstrengungen] zu einem bestimmten Aussehen, zu einer bestimmten Verhaltensweise, in einen bestimmten Zustand bringen, in bestimmter Weise zurechtmachen, bestimmte Eigenschaften geben: seine Kinder auf Höflichkeit, auf Ordnung t.; sie trimmt sich auf jugendlich; das Lokal ist auf antik getrimmt |
spiegeln (27) | das Spiegelbild von etw. zurückwerfen: die Glastür spiegelt die vorüberfahrenden Autos; Ü ihr Gesicht spiegelte Angs |
(Kurs) fallen (28) | eine vertikale Bewegung nach unten vollziehen (Def. GS) |
verschmelzen (36) | 1. durch Schmelzen u. Zusammenfließenlassen miteinander verbinden <hat>: Kupfer und Zink zu Messing v.; Ü zwei Dinge zu einer Einheit v.; 2. durch Schmelzen u. Zusammenfließen zu einer Einheit werden <ist>: Wachs und Honig verschmelzen [miteinander]; Ü die beiden Parteien verschmolzen 1922; Musik und Bewegung verschmolzen zu einem Ganzen |
kosten (44) | 1. a) einen bestimmten Preis, einen Preis von einer bestimmten Höhe haben: das Buch kostet zehn Euro; was, wie viel kostet ein Pfund Butter?; das kostet [gar] nichts; das Bild kostete ihn 5000 Euro (für das Bild musste er 5000 Euro bezahlen); das hat sie einen schönen Batzen Geld, ein Vermögen gekostet; […]; 2. für jmdn. einen Verlust von etw. nach sich ziehen: dieser Fehler kann dich/(seltener:) dir die Stellung k.; die Schließung der Zechen kostet etwa 60000 Kumpel[n] die Arbeitsplätze |
setzen auf (47) | g) bei einer Wette, einem Glücksspiel als Einsatz geben: ein Pfand s.; seine Uhr als, zum Pfand s.; er hat 100 Euro auf das Pferd gesetzt; <auch o. Akk.-Obj.: >er setzt immer auf dasselbe Pferd; Ü auf jmdn. s. (an jmds. Erfolg, Sieg glauben u. ihm sein Vertrauen schenken); seine Hoffnung auf jmdn., etw. s. (in einer bestimmten Angelegenheit darauf hoffen, dass sich durch jmdn., etw. etwas für einen erreichen lässt); sein Vertrauen auf jmdn., etw. s. (Vertrauen); Zweifel in etw. s. (Zweifel) |
aufeinandertreffen (50) | zusammentreffen u. sich im [Wett]kampf messen: die Sieger tref-fen im Halbfinale aufeinander Oder einfach: sich begegnen (GS) |
a. Eine Definition, die im DUWB fehlt: Wie gehen die Geschäfte? – Es läuft. |
Auch hier kann an der offensichtlichen Merkmalsschnittmenge der wörtlichen und übertragenen Bedeutungen der einzelnen Verben kein Zweifel bestehen. Einfache Interpretationen der in Tabelle 2 angeführten Verben als etwas Kompliziertes (auf)lösen; etwas verschmelzen; sehr gut, gar perfekt funktionieren; erzielen oder erwirtschaften; etwas, z.B. eine neue Aufgabe übernehmen; leistungsfähig(er) machen; ein identisches Bild von etwas abgeben durch Reflexion; eine Bewegung nach unten vollziehen; durch bestimmte Maßnahmen etwas miteinander verbinden; einen (negativen) Preis haben; an den Erfolg einer bestimmten Sache oder Aktivität glauben; sich begegnen in einer Wettbewerbssituation sind deshalb problemlos möglich.
Anders sieht es bei den folgenden polylexikalischen Ausdrücken aus, die im Gegensatz zu den monolexikalen potentiell metaphorisch sind, da eine semantische Basis nicht immer automatisch gegeben ist, was für die Ausdrücke in die roten Zahlen rutschen (10), ein Stück des Weges gehen (20), neue Baustellen aufreißen (21), auf Augenhöhe (stattfinden) (38), aus zwei Ackergäulen kein Rennpferd machen (54) zutrifft. Diese werden deshalb nachstehend im Einzelnen analysiert:
- in die roten Zahlen rutschen (10)
Dieser Ausdruck besitzt keine semantische Basis, ist folglich nicht metaphorisch für einen Adressaten, der nicht weiß, dass rote Zahlen für Verluste oder negative Bilanzen stehen. Dies abgesehen von der Etymologie des bildhaften, aber nicht bildlichen Idioms, die auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass in alten Zeiten Schulden oder negative Bilanzsummer mit roter Tinte geschrieben wurden.23 Zum Verständnis ist deshalb idiomatisch-metaphorisches lexikalisches Allgemeinwissen vonnöten. Nach Glucksberg wäre dieser bildhafte Ausdruck deshalb semantisch „low-constraining“, da dem Adjektiv rot und dem Nomen Zahlen praktisch unbegrenzt Merkmale zugeschrieben werden können. Sollte lexikalisches Allgemeinwissen nicht verfügbar sein, kann jedoch der Kontext zum Verständnis herangezogen werden.
In der folgenden Konstruktionseinheit seines Berichtes äußert der Börsen-Korrespondent nämlich vor allem das Investmentbanking fuhr Verluste ein (Z. 11). In der Folgeäußerung hat man so de facto die Erklärung, gar Definition für die roten Zahlen der vorigen Zeile: rote Zahlen stehen für Verluste. Selbst wenn man nicht die Bedeutung der roten Zahlen kennte, würde man folglich den Ausdruck angemessen interpretieren können. Es handelt sich dementsprechend um eine mögliche Metapher, d.h. eine Metapher, die nicht aus semantischer Sicht metaphorisch ist, da die Verbindung von roten Zahlen und Verlusten nicht aus dem sprachlichen Material zwingend hervorgeht, sondern die metaphorische nur bei angemessener Interpretation über Allgemeinwissen oder des Kontextes erfolgen kann.
- es ist noch ein Stück des Weges zu gehen (20)
Eine semantische Basis ist vorhanden: man ist noch nicht weit genug gegangen (wörtliche Bedeutung) bzw. muss noch zusätzliche Aktivitäten unternehmen (übertragener Sinn), um zu dem Ziel zu gelangen, das es zu erreichen gilt. Es ist dabei gleichgültig, ob es sich um ein lokales Ziel handelt oder um ein ökonomisches wie im vorliegenden Fall. Das Ziel bleibt das Ziel und erfordert einen gewissen Aufwand, der als Weg im Sinne notwendiger Aktivitäten symbolisiert werden kann. Im Gegensatz zum vorausgehenden Ausdruck handelt es sich hier folglich um eine „high-constraining“-Metapher, da die Zahl der gemeinsamen Merkmale äußerst begrenzt ist. Das Verständnis des metaphorischen Ausdrucks wird zusätzlich durch den Kontext gewährleistet, in dem um die Gesundung der Deutschen Bank geht, die „nach drei verlustreichen Jahren im Ansatz gelungen“ ist (Z. 19), was impliziert, dass sie noch nicht abgeschlossen ist, „noch ein Stück des Weges zu gehen“ ist (Z. 20).
- neue Baustellen aufreißen (21)
Auch hier existiert wiederum eine semantische Basis. Man reißt zwar keine Baustelle auf, bspw. eine Straße, um Bauarbeiten durchzuführen, z.B. um eine Kanalisation zu verlegen. Es ist aber offensichtlich, das auch eine Fusion einen zu reparierenden Tatbestand schaffen würde, der mehr oder weniger aufwändige Arbeiten erforderte und eine zumindest zeitweise Behinderung darstellte. Damit ist auch das tertium comparationis von Medium (Baustelle schaffen) und Thema (DB sanieren) beschrieben. Die Metapher, denn um eine solche handelt es sich in der Tat, ist aufs Neue „high-constraining“, „vehicle properties“ und „topic dimensions“ sind in einer relativ kleinen Schnittmenge vereinigt. Der Kontext beinhaltet allerdings keine Information bzgl. einer möglichen Behinderung oder eines notwendigen Aufwandes; dieser Inhalt wird allein durch den bildlich-metaphorischen Ausdruck transportiert.
- auf Augenhöhe stattfinden (38)
Es ist unsicher, ob hier eine semantische Basis vorliegt: wörtlich bedeutet der Ausdruck einfach, dass etwas auf einem Sichtniveau stattfindet, auf dem es vom Betrachter leicht wahrgenommen werden kann. Um Ebenbürtigkeit, Gleichberechtigung, gleichen Rang oder gleiche Verhandlungspositionen, Abwesenheit einer „position haute“ eines der Interaktanten geht es hier nicht. Dazu muss man diese idiomatische Bedeutung des bildhaften Ausdruckes kennen. Liegt kein idiomatisches Wissen vor, ist der Ausdruck „low constraining“, da schier unzählige Merkmale des Mediums aktiviert werden könnten. Erneut kommt der Kontext zu Hilfe: in der Folgeäußerung heißt es, dass die Deutsche Bank zu klein ist (Z. 39). Die französische BNP Paribas, mit der eine Fusion im Raume steht, ist die dritte Bank Europas (Z. 33), die DB hingegen nur einen Bruchteil der größten Bank Europas, der HSBC, wert (Z. 34). Während des Berichts werden dazu Illustrationen gezeigt. Es wird also ein Vergleich der Größe der DB und der BNP angestellt, so dass zumindest das Nomen Höhe des Nominalkompositums Augenhöhe verständlich ist. Im Grunde ist das Verständnis der Metapher aber nicht notwendig, um den dargestellten Sachverhalt – ungleiche Ausgangsbedingungen einer eventuellen Fusion – begreifen zu können.
Die Ergebnisse der vorstehenden Diskussion lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Tabelle 3: Bewertungskriterien für vier mögliche Metaphern
Ausdruck | semantische Basis | “high/low con-straining” | Kontext | Allgemeinwissen |
rote Zahlen | eher nein | low | ja, Folgezeile | ja, notwendig |
Stück Weges | ja | high | ja, Vortext | nicht unerlässlich |
Baustelle aufreißen | ja | high | nein | nicht notwendig |
auf Augenhöhe | nein | low | ja, Vor- und Nachtext | nicht unerlässlich |
Die Diskussion zeitigt folgende Ergebnisse:
- fehlt einem bildhaften Ausdruck die semantische Basis, ist er semantisch „low constraining“ und kann kaum ohne zusätzliche Hilfen interpretiert werden;
- in diesen Fällen ist ein Rückgriff auf vorausgehende und / oder nachfolgende Aktivitäten notwendig, um den Ausdruck als Metapher interpretieren zu können;
- bei stark idiomatischen, d.h. semantisch nicht-kompositionellen Ausdrücken kann (lexikalisches) Allgemeinwissen Voraussetzung für das Verständnis des Ausdruckes sein;
- im Idealfall besitzt ein Ausdruck eine semantische Basis, seine Interpretation ist aber zusätzlich auch im Kontext verankert;
- bei starker Kontexteinbettung ist es vorstellbar, dass eine Äußerungssequenz, die einen metaphorischer Ausdruck enthält, adäquat interpretiert wird und kohärente Folgeaktivitäten nach sich zieht, ohne dass der entsprechende Ausdruck in seiner metaphorischen Bedeutung verstanden wird.
Abschließend wird der die Sequenz (1) resümierende verallgemeinernde metaphorische Ausdruck analysiert: aus zwei Ackergäulen macht man kein Rennpferd (Z. 54). Zunächst einmal ist festzustellen, dass diese Metapher einen Sonderstatus im Vergleich zu den zuvor diskutierten besitzt. Sie ist äußerungswertig, d.h. nicht syntagmatisch wie die anderen, befindet sich zudem in sequenzfinaler Position und übernimmt hier im Stile eines Gemeinplatzes resümierende, Komplexität reduzierende Funktion (vgl. Gülich [1981]). Im Fernsehen spielt überdies auch in einer Nachrichtensendung vom Stile des Mittagsmagazins, selbst wenn es um so etwas Ernstes wie Geld geht, Unterhaltung eine Rolle. Die stark bildhafte Metapher könnte so auch belustigend wirken, was natürlich nicht der Analyst für alle Zuschauer entscheiden kann, ohne diese befragt zu haben.
Der satzwertige Ausdruck mit den zwei Ackergäulen, aus denen man kein Rennpferd machen kann besitzt a priori eine semantische Basis. Die Schnittmenge der Dimensionen des Mediums (Ackergäule und Rennpferde) und des Themas (Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank) enthält offensichtliche identische Merkmale: Langsamkeit, Schwerfälligkeit => wenig Kompetitivität im Rennen bzw. Wettbewerb vs. Schnelle => Kompetitivität und Fähigkeit, Rennen zu gewinnen bzw. im Wettbewerb zu bestehen. Daraus folgt die zwingende Erkenntnis, dass man auch bei Verdoppelung eines nicht kompetitiven Elements kein wettbewerbsfähiges Pferd bzw. eine wettbewerbsfähige Bank erhält. Auch, dass eine derartige Operation nicht zum gewünschten Erfolg führen kann bzw. muss. Ko- und Kontext liefern zusätzliche Interpretationshilfen. Zunächst einmal ist die Metapher mit dem kausalen Koordinator denn an den Vortext angeschlossen, liefert folglich eine Begründung für die zuvor geäußerte Feststellung. Aus dem aus dem gesamten Vortext ab der gleich zu Beginn gestellten Frage der Moderatorin geht nämlich hervor, dass die beiden deutschen Banken im europäischen Vergleich sehr klein sind, dementsprechend selbst bei einem Zusammenschluss nicht gegen die europäischen Großbanken bestehen könnten. Diesen Schluss resümiert die finale Metapher.24
Es ist kaum festzustellen, ob diese – humoristische? – Metapher den Ausgangspunkt bildet, jedenfalls findet man in vielen anderen Sendungen des Fernsehens Variationen dieser Metapher oder ähnlich gebildete Metaphern, die sich nicht konkurrenzfähiger Lebewesen bedienen.
In der humoristischen Heute Show vom 22. März 2019 nimmt der Moderator Oliver Welke dieses Thema auf und moderiert an:
01. die groko will jetzt die commerzbank, |
02. mit der deutschen bank zwangsverheiraten ne; quasi zusammennähen; |
03. dabei gilt letztere manchen schon jetzt als die gefährlichste bank der welt ne; |
04. die deutsche; beide haben immer noch ganz gewaltig zu kauen |
05. an ihrer letzten fusion; was soll der quatsch? |
Schon hier trifft man wieder auf monolexikale Metaphern mit semantischer Basis: zwangsverheiratet und zusammennähen (Z. 02). Im Anschluss daran werden sehr kurze Ausschnitte einer Reihe generalisierender Äußerungen gezeigt, die als Variationen von Zwei Ackergäule… gelten können; dazu eine Reihe weiterer Äußerungen des gleichen Typs aus unterschiedlichen Quellen des Internet.25
- Aus zwei Kranken macht man keinen Champion. (Welt, zitiert nach ZDF Heute Show 22.3.19)26
- Zwei kranke Truthähne ergeben keinen Adler. (Moma ARD: Fabio de Masi, MdB; zitiert nach ZDF Heute Show, 22.3.19)
- Zwei Lahme, so heißt es hier in Frankfurt, die werden nicht automatisch zu einem Marathonläufer. (ntv, zitiert nach ZDF Heute Show, 22.3.19)
- Zwei lahme Banken ergeben zusammen auch keinen Bankenchampion. (Newspodcast Zeitonline, Player FM 19.2.19);
- Zwei Lahme ergeben zusammen keinen Sprinter. (tagesschau.de, 17.3.19)
- Aus zwei Lahmen wird noch lange kein Olympionike. (Spiegel online, Forum Wirtschaft: Objectives, 17.3.19)
- Wenn man zwei Einbeinige aneinanderfesselt, wird daraus kein gesunder Zweibeiner. (Spiegel online, Forum Wirtschaft: Shardan, 17.3.19)
- Aus zwei Blinden wird kein Sehender. (Spiegel online, Forum Wirtschaft: Zauberer2112, 17.3.19)
- Wenn sich zwei Fußkranke zusammentun, wird daraus noch lange kein Dreamteam. (ntv, zitiert nach ZDF Heute Show, 22.3.19)
- Viel wird derzeit über eine Fusion spekuliert, doch aus zwei Fußkranken wird kaum je ein Meisterläufer. (nzz, 17.1.19)
- Minus mal minus gibt plus, doch zwei schwache Banken machen noch keine starke. (nzz.ch, 18.3.19)
In allen Fällen werden wiederum zwei benachteiligte, als nicht wettbewerbsfähig geltende Menschen oder Tiere mit einem als konkurrenzfähig angesehenen dritten Element verglichen: Kranke vs. Champion; kranke Truthähne vs. Adler; Lahme vs. Marathonläufer / Sprinter / Olympionike; lahme Banken vs. Bankenchampion; Einbeinige vs. Zweibeiner; Fußkranke vs. Dreamteam / Meisterläufer; Blinde vs. Sehender. Schließlich findet man auch einen nicht-metaphorischen Vergleich: Minus mal minus gibt plus, doch zwei schwache Banken machen noch keine starke (nzz.ch, 18.3.19).
Ist Oliver Welkes Fazit „so sagt man vier kranke truthähne ergeben einen kastrierten wellensittich“ allein dem humoristischen Genre zuzuschreiben und einfach nur absurd? Möglicherweise nicht, wenn man ein tertium comparationis der Merkmale von „vehicle“ und „topic“ herausarbeitet und die Tatsache in Rechnung stellt, dass hier die Negation des jeweiligen Vergleichselementes fehlt. Dennoch handelt es sich auch hier wieder um eine unmögliche Operation, aus als benachteiligt betrachteten Lebewesen durch Fusion von zweien eines mit positiven, konkurrenzfähigen Eigenschaften zu kreieren.27
Aus kognitivistischer Perspektive würde man angesichts derart zahlreicher bildlicher Ausdrücke nach dem gleichen Muster „2 x nicht konkurrenzfähig ergibt nicht 1 wettbewerbsfähig“ auf das Vorliegen einer konzeptuellen Metapher schließen. Oder variiert man vielleicht einfach nur ein Modell, dass irgendein Journalist vorgelegt hat?
Fazit – Mögliche Metaphern im fachsprachlichen Kontext
Die Analyse des Börsenberichts mit zahlreichen bildstarken Ausdrücken hat ergeben, dass in der Mehrzahl der Fälle im definierten Sinne eine semantische Basis der betreffenden Äußerungselemente vorliegt, zudem im Kontext die metaphorische Bedeutung erhellende Elemente vorhanden sind. Stehen derartige semantische und / oder ko(n)textuelle Indikatoren zur Verfügung, ist die Wahrscheinlich hoch, eine Verbindung von Ausgangs- und Zielbereich herzustellen, um eine Metapher zu interpretieren. Wenn diese jedoch nicht vorhanden sind, sogar idiomatisches oder enzyklopädisches Spezialwissen zur Entschlüsselung vonnöten ist, verringert sich die Wahrscheinlichkeit angemessenen Verstehens.
Im Endeffekt muss der Interaktant-Adressat in der Lage sein, ein tertium comparationis von Dimensionen des Mediums und des Themas zu erkennen, um auf eine metaphorische Bedeutung zu schließen. Ob dies Fall ist, könnten letztendlich nur kaum zu bewerkstelligende nachträgliche Befragungen von Interaktanten ergeben, oder aber über Folgeaktivitäten, idealiter metakommunikative Äußerungen, die explizit auf die Interpretation schließen lassen, gefolgert werden. Auch semantisch-thematisch kohärente Folgeaktivitäten könnten a priori auf das Verständnis aus semantischer Sicht metaphorischer Ausdrücke schließen lassen. Allerdings verfügt man über keinerlei eineindeutige Beweise, dass ein Interaktant tatsächlich eine Metapher in ihrer Verbindung von Medium-Thema-Merkmalen als solche verstanden hat. Möglicherweise setzt der Vollzug einer kohärenten Folgeaktivität gar nicht das Verständnis des metaphorischen Ausdrucks voraus, da der Turn, der diese beherbergt, auch ohne sie auf der Grundlage ko- und kontextueller Elemente den Intentionen des Produzenten des Turns, der die Metapher enthält, entsprechend interpretiert werden könnte. Dies ist allerdings mit konversationsanalytischen Mitteln allein nicht eruierbar.
In jedem Fall sagt eine kontextfreie, im Grunde semantische Zuschreibung metaphorischer Relationen, wie sie Burger vorschlägt (cf. supra), wenig über Kompetenzen und Interpretationsleistungen von Interaktionsbeteiligten aus. Bedeutungsbeziehungen zwischen Ausgangs- und Zielbereich bildhafter Ausdrücke werden in Konversationen unabhängig davon hergestellt, ob sie aus semantischer Perspektive als bildhaft nicht-metaphorisch oder bildlich metaphorisch zu gelten haben. Auch das, was aufgrund semantischer Regeln als nicht-metaphorisch einzustufen wäre, z.B. jmdm. einen Korb geben28, kann über ko(n)textuelle Faktoren interpretierbar sein; andererseits müssen von Semantikern als metaphorisch eingestufte Bilder, wie z.B. wie Äpfel und Birnen sein, für Beteiligte, die „hidden properties“ wie markante Unterschiedlichkeit nicht aktualisieren,29 keineswegs metaphorisch sein (cf. Schmale [2014]).
Von echten Metaphern kann man deshalb nur aus semantischer Sicht sprechen, aus der Perspektive von Interaktionsbeteiligten kann es im konversationellen Kontext nur mögliche Metaphern geben, da man nur selten weiß, ob sie überhaupt als solche verstanden werden bzw. ob die Verbindung von Medium und Thema richtig interpretiert wird.
Unbestritten ist aber, dass der vorliegende Börsenbericht eine äußerst große Zahl mono- und polylexikaler bildhaft, potentiell metaphorischer Ausdrücke enthält, die in der Mehrzahl eine semantische Basis besitzen und folglich, nicht zuletzt dank ihrer starken kontextuellen Einbettung, eine metaphorische Information wahrscheinlich erscheinen lassen. Überdies kann man wohl davon ausgehen, dass Produzenten von Metaphern nicht derart massiv auf diese zurückgreifen würden, wenn sie nicht davon ausgehen würden, dass ihre Gesprächspartner diese auch interpretieren können.