Einleitung
Metaphern sind ein linguistisches Phänomen, das sich in allen Textsorten bzw. Diskursbereichen von Einzelsprachen nachweisen lässt, unabhängig davon, ob die Texte medial mündlich oder schriftlich realisiert sind. Häufig werden Metaphern als sprachliche Strategie dem allgemeinsprachlichen Diskurs zugeschrieben oder gar auf den Bereich der Literatur begrenzt, während Fachdiskurse weitgehend ohne Metaphern auskämen. Einschlägige Studien (zum Beispiel Kovács [2009: 43]) zeigen jedoch, dass wissenschaftliche Diskurse, abhängig vom Fachlichkeitsgrad der Texte sowie von der Funktion der jeweiligen Textsorten, sehr wohl Metaphern enthalten. Insbesondere in der Sprache der Medizin werden Metaphern häufig verwendet, wobei zu differenzieren ist, ob es sich um fachinterne oder –externe Kommunikation handelt. Werden Metaphern in Fachtexten verwendet, so verfolgen die Textproduzenten im Rahmen des fachexternen Diskurses häufig das Ziel, fachspezifische Inhalte möglichst verständlich zu kommunizieren und auf diese Weise den Wissenstransfer effizient zu gestalten. Formen, Funktionen und Wirkungsweisen von Metaphern im Medizindiskurs unterscheiden sich in Abhängigkeit von den drei medizinischen Bereichen Forschung, Öffentlichkeit und Beratung [Kovács 2009: 9].
Hinsichtlich der Analyse von Teilbereichen der fachexternen Gesundheitskommunikation ist zu konstatieren, dass allgemein „[d]as Wissen über Gesundheit und Krankheit […] gesellschaftlich und diskursiv einen hohen Stellenwert“ [Busch 2015: 396] hat. Zudem kann man feststellen, dass sich seit ungefähr einem Jahrzehnt die Online-Kommunikation einer ständig wachsenden Beliebtheit erfreut, wenn sich Personen über Gesundheitsthemen informieren möchten; ein hoher Anteil von Menschen mit Zugang zum Internet nutzt gelegentlich oder regelmäßig Gesundheitsinformationen online [Kristiansen und Bonfadelli 2013: 240-241, 243]:1
Das Internet hat den alltagsweltlichen Gesundheitsdiskurs tiefgreifend verändert. Mit seinen vielfaltigen Interaktionsmöglichkeiten gilt es seit Langem für viele Menschen als wichtige Ressource in Gesundheitsfragen und als unverzichtbarer kommunikativer Rahmen für den Austausch medizinischer Alltagserfahrungen jenseits des institutionalisierten Arzt-Patienten-Gesprächs. Der Erfolg gesundheitsbezogener Kommunikationsformen im Internet wird in der Forschung interdisziplinar in engem Zusammenhang mit den technischen und sozialen Rahmenbedingungen internetbasierter Kommunikation erörtert. Häufig genannte Faktoren umfassen ihre Interaktivität, die Niederschwelligkeit des Zugriffs (keine räumliche und zeitliche Begrenzung der Nutzung, […], Anonymität), die Aktualität der Information sowie ihr Potenzial für umfassende, auf persönlicher Erfahrung anderer Nutzer(innen) beruhende emotionale Unterstützung. [Kleinke 2015: 405]
Im Beitrag soll anhand einer empirischen, qualitativ orientierten Analyse der fachexternen medizinischen Kommunikation des Deutschen herausgearbeitet werden, welche kommunikativen Funktionen Metaphern im Kontext des gewählten Diskursbereichs der Online-Präventionskommunikation erfüllen und welche Metapherntypen verwendet werden. Zu diesem Zweck wird ein Korpus von Präventionswebseiten zu unterschiedlichen Krankheitsbildern analysiert, deren Sender2 mittels einer zielgruppenspezifischen Gestaltung der Inhalte ein gesundheitsförderndes Verhalten der Textrezipienten induzieren möchten. In diesem Kontext wurde im Mai 2017 auf die Webseiten der Deutschen Krebshilfe (www.krebshilfe.de) sowie der Diabetesstiftung (www.diabetesstiftung.de) zugegriffen. Die Webseiten sind, wie jedweder massenmedial verbreiteter Text, potenziell mehrfachadressiert (vgl. hierzu Lüger [2017: 27] sowie Kühn [1992: 57]).
Im Beitrag werden jedoch nur diejenigen Texte in die Analyse einbezogen, die sich an die medizinischen Laien wenden und somit im Bereich der fachexternen Kommunikation zu verorten sind. Hinzu kommt die für den Bereich der Präventionskommunikation charakteristische und für die Analyse notwendige Differenzierung in Primärsender [=die Institutionen und Institute/Experten] einerseits und Sekundärsender [=Testimonials / erkrankte Personen] andererseits. Zwecks einer klaren methodischen Abgrenzung finden nur diejenigen Metaphern Eingang in die Analyse, die von Sekundärsendern im Kontext bestimmter Textsorten (zum Beispiel in Fallbeispielen oder Furchtappellen) gebraucht werden.
Während in einem ersten Schritt die Klassifizierung der Metaphern nach ihren kommunikativen Funktionen im Zentrum steht, liegt ein weiterer Fokus auf der Beschreibung der unterschiedlichen Metapherntypen. In diesem Zusammenhang wird der Frage nachgegangen, ob die verwendeten Metaphern diskursbereichspezifische Funktionen erfüllen und ob sie auf formaler Ebene als konstitutiv für die gewählte Textsorte gelten können. Im theoretischen Teil des Beitrags werden nach einer kurzen Reflexion über Rollen und kommunikative Funktionen von Metaphern die Funktionen der Präventionskommunikation sowie die spezifische kommunikative Konstellation von Präventionsbotschaften im Internet näher bestimmt.
1. Metaphern im Alltag und in der Medizinkommunikation
In der Einleitung wurde darauf verwiesen, dass Metaphern ein grundlegender Bestandteil medizinischer Texte sind, wobei ihre Gebrauchshäufigkeit sowie ihre Formen und Funktionen je nach Fachlichkeitsgrad der Texte variieren können. An dieser Stelle soll kurz diskutiert werden, welche der zahlreichen in der Literatur vertretenen Metapherntheorien der Studie zugrunde liegt und welche Funktionen Metaphern in der Alltagskommunikation sowie im fachlichen Diskurs, speziell im medizinischen Diskurs, haben können. In Anlehnung an die kognitive Metapherntheorie von Lakoff und Johnson wird von der Annahme ausgegangen, dass Metaphern in Diskursen nicht nur ein Mittel der Rhetorik sind, sondern vielmehr die Alltagssprache und somit auch das Denken und Handeln von Individuen (und Gesellschaften) bestimmen (vgl. Lakoff und Johnson [1980: 11]). Dies begründen die Autoren damit, dass die Konzepte, die das alltägliche Denken und Handeln determinieren, größtenteils metaphorisch angelegt seien, was bedeute, dass Metaphern unbewusst das Denken strukturieren. Durch das Übertragen von Konzepten aus einer konkreten Ausgangsdomäne in eine abstrakte Zieldomäne kann die Komplexität von Sachverhalten reduziert und das Verständnis von Inhalten erleichtert werden: „The essence of metaphor is understanding and experiencing one kind of thing in terms of another.“ [Lakoff und Johnson 1980: 5]. Schachtner [1999: 18] schreibt dazu in ihrer Studie zum Metapherngebrauch in der Arzt-Patienten-Kommunikation:
Metaphern haben eine handlungsgestaltende Funktion; sie organisieren unsere Wahrnehmung, unser Handeln, unser Fühlen […]. Sie steuern die Aneignung von Welt, reduzieren Komplexität […], strukturieren Unvertrautes, indem sie Vertrautes übertragen und konstruieren somit Wirklichkeit.
Metaphern fördern somit nicht nur das objektive Verständnis von Sachverhalten, sondern bestimmen in nicht unerheblichem Maße die Konstruktion von Wirklichkeit, indem durch das Hervorheben bestimmter inhaltlicher Aspekte bei gleichzeitigem Verschweigen anderer Inhalte eine Perspektivierung vorgenommen wird:
Metaphern durchdringen […] unser gesamtes alltägliches Leben. Sie zeigen sich nicht nur in der Sprache, sie sind auch in unserem Denken und Handeln wirksam […]. Sie strukturieren, was wir wahrnehmen, wie wir uns in der Welt bewegen und wie wir uns auf andere Menschen beziehen. [Schachtner 1999: 17]
Ein weiterer wesentlicher Aspekt der kognitiven Metapherntheorie ist, dass der Ursprung von Metaphern größtenteils auf physischen Erfahrungen des Menschen basiert. Zum Beispiel verdeutliche das Konzept „WACH SEIN IST OBEN / SCHLAFEN IST UNTEN“, wie wir aufgrund unserer physischen Erfahrung Sprache strukturieren. So entstehen metaphorische Ausdrücke wie „Steh auf. Wach auf.“ oder „Er versank in tiefen Schlaf.“. Neben den physischen Erfahrungen spielen außerdem emotionale, mentale und kulturelle Erfahrungen eine Rolle. Nach Lakoff / Johnson lassen sich drei Typen von Metaphern identifizieren:
- Konzeptuelle Metaphern: Verwenden von Begriffen aus einem Erfahrungsbereich, wobei Sichtweisen und Handlungsstrategien aus diesem Bereich übertragen werden
- Orientierende Metaphern: sprachliche Hinweise auf eine meist räumliche Strukturierung metaphorischer Konzepte (z.B. up-down; in-out)
- Ontologisierende Metaphern: kennzeichnen Ausschnitte aus unserer Erfahrung als Objekte
Die grundlegende Bedeutung von Metaphern für das Wahrnehmen der Welt, für das Herstellen inhaltlicher Bezüge und in letzter Instanz auch für die Handlungsmotivation von Menschen, die sich aus der kognitiven Metapherntheorie nach Lakoff und Johnson ergeben, stellt Kovács [2009: 38] heraus:
Die sprachliche und soziale Wirklichkeit wird dementsprechend durch Metaphern geprägt, oder sogar durch diese gestaltet. Sie sind mit anderen Worten gemeinsame kulturelle Werkzeuge des Begreifens, konstitutiv für alltägliche Wahrnehmungen ebenso wie für die gesamte Weltanschauung des Menschen. Die äußere Welt wird hauptsächlich in Metaphern wahrgenommen und strukturiert, d.h. Zusammenhänge zwischen Erfahrungen werden durch Metaphern erfasst. Diese Art von Metaphern nennen Lakoff und Johnson ontologische Metaphern. Sie stammen vor allem aus der körperlichen Erfahrung, welche in die abstrakte Kategorie projiziert wird.
Für den Bereich der Medizinkommunikation verweist Schachtner auf die Dimension der sozialen Deutung von Körper, Gesundheit und Krankheit. Die Tatsache, dass „[d]as jeweilige Verständnis von Krankheit […] geprägt von den gesellschaftlich geteilten Vorstellungen zur Entstehung von Krankheit“ ist [Schachtner 1999: 36], kann die Wahl von Metaphern in unterschiedlichen Sprach- und Kulturräumen sowie in unterschiedlichen Epochen erklären. Hinsichtlich der historischen Genese von Krankheitsauffassungen und den daraus resultierenden Schwerpunktsetzungen auf der Ebene des Metapherngebrauchs verweist Schachtner auf drei aufeinander folgende Strömungen. In den archaischen Gesellschaften handelte es sich bei Erkrankungen um eine Verhaltensabweichung, die nicht mehr in das Normalitätskonzept integriert werden konnte und deshalb als Krankheit bezeichnet wurde. Die Krankheit war in dieser Auffassung nicht auf natürliche Wirkfaktoren zurückzuführen und wurde im Kontext eines magisch-religiösen Weltbilds erfasst und behandelt. Ursachen von Krankheit waren Zauberei, Verletzen von Tabus, etc. Nach dieser ersten archaischen Phase traten die Gesellschaften in den christlichen Kulturbereich ein. In diesem neuen Kontext wurde Krankheit als Anzeichen der Sünde oder als Prüfung gewertet; aus christlicher Sicht musste (und muss) Krankheit daher, wenn sie als Sünde gedeutet wird, bekämpft oder ausgetrieben werden. Gegenwärtig bestimmt eine naturwissenschaftliche Auffassung von Krankheit die soziale Bedeutungszuschreibung. In diesem modernen Verständnis wird die Ursache von Krankheit auf ein Geschehen im Inneren des Körpers zurückgeführt. Dieses teilweise mechanistische Verständnis von Krankheit spiegelt sich auch in den Beispielen aus dem Korpus wieder.
2. Funktionen medizinischer Präventionskampagnen
Das übergeordnete Ziel von Präventionskampagnen besteht in einer effektiven Vermittlung von Gesundheitsinformationen; sie sollen zunächst Aufmerksamkeit erregen und dann Verhaltensänderungen auf Seiten der Rezipienten induzieren, indem sie dazu beitragen, den Wissensstand in der Bevölkerung zu verbessern sowie eine angemessene Einschätzung der Thematik zu fördern. Sachinformationen in Präventionskampagnen zielen darauf ab, Fakten zu vermitteln und Personen über ihr gesundheitliches Risiko sowie über den Nutzen und den Schaden möglicher protektiver Maßnahmen oder Therapieformen aufzuklären (vgl. Renner und Gamp [2014: 67]). Neben Verhaltensweisen, die gesunden Personen vorgestellt werden, werden Strategien kommuniziert, die Betroffenen bei der Bewältigung erster Krankheitssymptome helfen (zum Unterschied zwischen Primär- und Sekundärprävention vgl. Hurrelmann und Leppin [2001: 15]). Jedoch unterliegt die Wirkung von Gesundheitsbotschaften den Einflüssen individueller Sozialisierungsprozesse der Rezipienten sowie Faktoren, die außerhalb der konzertierten Kommunikationsstrategien einer Kampagne zu verorten sind:
Dass sie [die Botschaften; NR] jedoch unmittelbar und bei sämtlichen Rezipientinnen und Rezipienten in vergleichbarer Stärke eine so komplexe Reaktion wie die dauerhafte Veränderung des oftmals habitualisierten Gesundheitsverhaltens bewirken, erscheint für die meisten Anwendungsfelder der Gesundheitskommunikation extrem unwahrscheinlich und ist unseres Wissens nach empirisch noch nie dokumentiert worden. In den meisten Fällen ist vielmehr anzunehmen, dass Drittvariablen den Einfluss von Gesundheitsbotschaften auf Einstellungen, Intentionen und Verhalten vermitteln […] bzw. die Stärke und Richtung dieses Einflusses bestimmen. [Hastall und Wagner 2014: 51-52] [Hervorhebungen im Original]
Nicht jede Präventionskampagne führt also automatisch zu einer von den Sendern intendierten Verhaltensänderung auf der Seite der Rezipienten. Studien zeigen jedoch, dass die gesundheitliche Präventionskommunikation nicht nur das Vermitteln von Informationen zum Ziel hat. Weitere Funktionen der untersuchten Präventionswebseiten bestehen, neben einer persuasiven Orientierung, darin, Angst zu reduzieren, Betroffene zu beruhigen, Unsicherheit zu beseitigen und die Zuversicht Erkrankter zu erhöhen. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Entlastungskommunikation zu, dem „Teilen“ von Krankheitserfahrungen mit den Kommunikationspartnern (zum Konzept des Sharing in der virtuellen Kommunikation vgl. Tienken [2013]).
Es ergibt sich die Frage, welche Rolle Metaphern vor dem Hintergrund dieser übergeordneten funktionalen Ausrichtung und der kommunikativen Konstellation der medizinischen Präventionskommunikation spielen. Im Hinblick auf die Rolle von Metaphern im öffentlichen Diskurs der Medizin schreibt Kovács [2009: 160]:
Es liegt in der Logik der Metaphern zu vermuten, dass im wissenschaftsexternen Diskurs auch sie zu Zwecken der Meinungsbildung gebraucht werden. Metaphern eignen sich für wissenschaftliche Diskurse besonders gut, denn sie können komplexe Inhalte kurz und auf ausgewählte Phänomene geeicht darstellen. Als Kommunikationswerkzeuge vermitteln sie neben Fakten immer auch eine Sichtweise.
Basierend auf den kommunikativen Funktionen und Wirkungen von Metaphern (vgl. Kovács [2009: 54-56]) lässt sich für den untersuchten Diskursbereich postulieren, dass, neben dem Ziel der Vulgarisierung fachlicher Inhalte, die illustrative Leistung von Metaphern im Vordergrund steht, die es erlaubt, den Persuasionsgrad einer Äußerung zu erhöhen. Wenn davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei der Präventionskommunikation, ähnlich wie bei einem Arzt-Patienten-Gespräch, um einen Aufklärungsdiskurs handelt, so gehört
[z]u dieser Aufklärung […] einerseits eine Reduktion der Komplexität der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf das aktuell Wesentliche (…), und andererseits die angemessene sprachliche Darstellung in einem sprachlichen Koordinatensystem, das dem Patienten hilft, die medizinischen ‚Fakten‘ in seiner Erfahrungswelt zu begreifen. In diesem Aufklärungsdiskurs haben deshalb Metaphern durch ihre Fähigkeit zur Unschärfe und durch die Fähigkeit der Analogieherstellung zu anderen Erfahrungen eine wichtige Funktion. [Kovács 2009: 14]
Um den Persuasionsgrad von Gesundheitsbotschaften zu erhöhen, die Rezipienten auf der emotional-affektiven Ebene anzusprechen und diese zu einem gesundheitsförderlichen Verhalten zu bewegen, werden in der massenmedial vermittelten Gesundheitskommunikation bestimmte Stilmittel eingesetzt, die dazu beitragen, die Effektivität der Botschaften zu steigern (vgl. Ziegler, Pfister und Rossmann [2013: 65]). Dazu gehören Furchtappelle ([Cho 2014: 339]; vgl. dazu auch Freimuth et al. [1990], Hale / Dillard [1995: 65] oder Janis / Feshbach [1953]), aber auch Fallbeispiele (vgl. z.B. Daschmann [2001] oder Zillmann [2006]). Nach Witte [1992: 329] sind Furchtappelle zu verstehen als „persuasive messages designed to scare people by describing the terrible things that will happen to them if they do not do what the message recommends.“ oder, nach Hale / Dillard [1995: 65], als „persuasive messages that emphasize the harmful physical or social consequences of failing to comply with message recommendations.” (zur Rolle von Furchtappellen als „scare tactics“ vgl. auch Cho [2014: 340] sowie Witte [1998]). In der Forschung geht man zudem von der Annahme aus, dass in Furchtappellen „über Abschreckung eine Einstellungs- und in der Folge eine Verhaltensänderung bewirkt werden kann.“ [Suckfüll, Schmidt und Reuter 2014: 79].
Fallbeispiele hingegen sind „Zitate oder Schilderungen von Einzelfällen, deren Präsentation dazu dient, eine über die Einzelfälle hinausgehende quantitative oder probabilistische Aussage über einen realen Sachverhalt zu formen oder zu veranschaulichen.“ [Daschmann 2001: 85]. Mittels Fallbeispielen, die die Meinungs- und Urteilsbildung der Rezipienten stark beeinflussen, können bestimmte gesundheitliche Probleme anschaulicher dargestellt werden als durch (eigentlich validere) abstrakte Daten (z.B. Statistiken).
Durch die Darstellung von Fallbeispielen, z.B. in Form erkrankter Personen und deren Krankheitsverlauf, können folglich auch Gesundheitsthemen besser veranschaulicht und Gesundheitsinformationen erfolgreicher vermittelt werden als mittels abstrakter Informationen. Somit sind Fallbeispiele ein effektiver Weg, um Aufmerksamkeit für Gesundheitsthemen zu erhöhen, Einstellungen zu beeinflussen und gesunde Verhaltensweisen zu initiieren. [Ziegler, Pfister und Rossmann 2013: 67]
Fallbeispiele als narrative Kommunikationsform befinden sich im funktionalen Spannungsfeld von Informieren, Persuasion und sozio-emotionaler Unterstützung. Aufgrund ihrer Anschaulichkeit und der persuasiven Intention kann davon ausgegangen werden, dass die Gebrauchshäufigkeit von Metaphern höher ist als in primär sachlich orientierten, informierenden Texten auf Präventionswebseiten. Daher konzentriert sich die Analyse des Metapherngebrauchs im vorliegenden Beitrag auf Fallbeispiele und Furchtappelle.
3. Der Metapherngebrauch auf der Webseite der Deutschen Krebshilfe und der Diabetesstiftung
Der Webseitenauftritt der Deutschen Krebshilfe ist stark auf Personalisierung und Emotionalisierung hin orientiert. Berichte von Testimonials und Furchtappelle spielen eine entscheidende Rolle im Kontext des Informierens über die Krankheit und mögliche Präventionsmaßnahmen; zudem steht das Entdämonisieren der Krankheit im Zentrum der kommunikativen Ziele der Webseite. Die Faktenvermittlung tritt in den Hintergrund. Fachsprachliche Elemente werden kaum verwendet; hingegen dominiert eine einfache, leicht verständliche Sprache mit dem Ziel, den Wissenstransfer so effizient und nachhaltig wie möglich zu gestalten.
Die auf der Webseite der Deutschen Krebshilfe verankerten Videosequenzen enthalten Mut machende Botschaften im Kampf Betroffener gegen den Krebs. Erkrankten bzw. deren Angehörigen und nahestehenden Personen wird das Gefühl vermittelt, mit ihren Ängsten und Sorgen nicht alleine zu stehen. Einen hohen Grad an Personalisierung erfährt die Kommunikation durch die Narration individueller Krankheitsgeschichten, die gleichzeitig zur Emotionalisierung der Inhalte beitragen.
Im Folgenden werden die Metaphern näher beschrieben, die sich auf den beiden untersuchten Webseiten (Deutsche Krebshilfe; Diabetesstiftung) in schriftlich realisierten Fallbeispielen sowie in einem Einzelfall in einem Liedtext nachweisen lassen, der sich auf der Webseite der Deutschen Krebshilfe befindet. Auf der Webseite der deutschen Krebshilfe sind zudem Videosequenzen verankert, die als multimodale Kommunikate über ein besonders hohes Persuasionspotenzial verfügen.
An dieser Stelle soll der Klassifizierung der im Korpus verwendeten Metaphern exemplarisch die Analyse eines dieser multimodal konzipierten Texte vorangestellt werden, um deutlich zu machen, auf welche Weise der Gebrauch von Fachsprache einerseits und das Verwenden von Metaphern andererseits in einem Spannungsverhältnis stehen. In der Filmsequenz, die im Stil eines Kriminalfilms konzipiert ist und die gleichermaßen als Furchtappell sowie als Fallbeispiel interpretiert werden kann, werden Anleihen bei einem anderen Genre gemacht. Dargestellt ist eine Szene in einer Pathologie, wo eine an Hautkrebs verstorbene junge Frau (hierbei handelt es sich um die Schauspielerin Susanne Klein, die selber an Hautkrebs erkrankt war und in diesem Furchtappell die Rolle des Testimonials innehat) aufgebahrt liegt. Die musikalische Untermalung unterstreicht den dramatischen Charakter der Situation. Der leitende Mediziner observiert den Körper der Frau und beschreibt die Zeichen des malignen Melanoms, leitet Zusammenhänge zwischen Hautveränderungen und dem unverantwortlichen Umgang der Verstorbenen mit der Sonne her (dies erfolgt in Analogie zu körperlichen Anzeichen eines Verbrechens und Vermutungen über die Todesursache in der Pathologie), liefert Erklärungsansätze und Präventionstipps. Anders als bei der Beweisaufnahme in der Pathologie nach einem Verbrechen handelt es sich jedoch bei den Aussagen des Mediziners um aus seiner Sicht nicht hinterfragbare Aussagen bzw. um gesichertes dermatologisches Fachwissen, nicht um Vermutungen, wenn er den Zusammenhang zwischen sichtbaren Zeichen der Hautkrebserkrankung und dem gesundheitsschädlichen Verhalten der jungen Frau herstellt. Zudem wird dem „Opfer“ die Verantwortung für den Schutz der eigenen Haut vor UV-Strahlung zugewiesen. Eine gewisse Schadenfreude kann der Arzt im Tonfall seiner Stimme nicht verbergen, wodurch nochmals die Verantwortung, die jeder für einen gesundheitsbewussten Umgang mit Sonneneinstrahlung hat, herausgestrichen wird. Der jungen Assistenzärztin steht der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Am Ende erfolgt jedoch eine unerwartete Wendung zum Guten, da die Patientin sich von der Bahre erhebt und dem Hautkrebs den Kampf ansagt.
Fachsprachliche lexikalische Einheiten („Malignes Melanom“; „Liäsonen“) treten im Wechsel mit gemeinsprachlichen und umgangssprachlichen Elementen („aber: zu cool für Sonnencreme“) auf, so dass von einer Adaptation an den sprachlichen Duktus der angenommenen Zielgruppe ausgegangen werden kann. Der Gebrauch umgangssprachlicher Elemente kann eine Distanzreduktion bewirken, da die informierend-aufklärenden Texte nicht zu belehrend wirken sollen, um von den Rezipienten akzeptiert zu werden. Metaphorische Elemente in der Filmsequenz sind beispielsweise das „Souvenir vom Urlaub“ oder die „Quittung für häufige, intensive Sonnenbäder“. Ein Souvenir wird von den Sprechern normalerweise als konkretes Objekt bzw. Erinnerungsstück an einen Urlaub assoziiert, an den man sich gerne erinnert; im Beispiel erfolgt die Übertragung auf entartete Hautzellen bzw. Hautkrebs als unerwünschte Spätfolge unzureichenden Sonnenschutzes. Im Falle der „Quittung für häufige, intensive Sonnenbäder“ werden die Symptome des Malignen Melanoms als „Strafe“ für den verantwortungslosen Umgang mit der Sonne bewertet. Während man für eine Ware oder eine Dienstleitung in der Regel mit Geld bezahlt und dafür eine Quittung bzw. eine Zahlungsbestätigung erhält, hat die junge Frau durch das exzessive Sonnenbaden ihr Leben aufs Spiel gesetzt; dies wird durch die metaphorisch geprägte polylexikalische Einheit eine Quittung für sein Verhalten bekommen herausgestrichen.
Die Filmsequenz zeichnet sich durch ihren stark suggestiven Charakter aus, indem mit mehr oder weniger bewussten Ängsten der Bevölkerung gespielt wird. Deutlich werden zudem Aspekte der Stereotypisierung, wenn beispielsweise die Funktion des leitenden Mediziners bzw. des Experten einem selbstbewusst auftretenden Mann, die Rolle der in der Hierarchie darunter stehenden Assistenzärztin einer jungen, etwas naiv erscheinenden Frau zugewiesen wird. Am Ende der Sequenz erfolgt jedoch eine Umkehr der Machtverhältnisse durch die überraschende Wendung. Komische Effekte werden zudem durch den Bruch mit Rezeptionsgewohnheiten erzielt. Das unterhaltende Element wird in der Sequenz vermutlich durch den Moment der Überraschung und das Spiel mit den Rezeptionsgewohnheiten hervorgerufen bzw. gefördert. Um die tatsächlichen Effekte der Filmsequenz auf die Rezipienten beurteilen zu können, bedürfte es eines erhöhten methodischen Aufwands, da Probanden bezüglich der kommunikativen Effekte der Filmsequenz befragt werden müssten. Fraglich ist nämlich, ob sich die Rezipienten von der Botschaft angesprochen fühlen oder sich von den dargestellten Inhalten distanzieren.
3.1. Der Ausdruck von Angst, Hilflosigkeit und Überforderung
In den folgenden Abschnitten ist zusammengestellt, welche Metapherntypen auf den untersuchten Präventionswebseiten verwendet werden, um bestimmte, unter Umständen für den Diskursbereich spezifische kommunikative Handlungen zu vollziehen. In einem ersten Schritt stehen Metaphern im Fokus der Analyse, die dem Ausdruck von Angst, Hilflosigkeit und Überforderung im Umgang mit der Diagnose dienen.
(1) Und dann steht man da vor einem Berg mit Fragen. (Melanie, Bauchspeicheldrüsenkrebs) |
(2) Eine Flut von Informationen bricht über einen herein. (Dilara, Keimzellentumor hinter dem Auge) |
(3) Auch die gesamte Familie fällt aus allen Wolken und muss dann gemeinsam die schwere Zeit bewältigen. (Linda Hesse, Song für krebskranke Kinder) |
(4) In diesem Moment bin ich in ein tiefes Loch gefallen. (Diabetesstiftung) |
In Beispiel (1) werden die Angst vor der Erkrankung und die daraus resultierende Verunsicherung mit Hilfe der Berg-Metapher als unüberwindbares Hindernis dargestellt, während in Beleg (2) durch den Gebrauch der Flut-Metapher die Konzeptualisierung der Krankheit Krebs als vom Menschen nicht zu beherrschende Naturgewalt im Zentrum steht. Im Kontext der Schilderung der ersten Zeit nach der Diagnose werden durch den Gebrauch der Metapher die Überforderung und die Hilflosigkeit, ja das völlige Ausgeliefertsein der Betroffenen hervorgehoben, die im Zustand der emotionalen Erschütterung nicht fähig ist, aus der Vielzahl der Informationen über das Krankheitsbild die für sie relevanten Inhalte herauszufiltern. Das Beispiel (3) macht deutlich, dass nicht nur die Erkrankten, sondern insbesondere die Familienangehörigen durch eine Krebsdiagnose emotional betroffen sind. Die metaphorisch geprägte phraseolexematische Einheit aus allen Wolken fallen konzeptualisiert die Folgen der Diagnose als völlig unerwarteten Sturz in die Tiefe und hebt die Tatsache hervor, dass sämtliche Gewissheiten neu hinterfragt werden müssen, während der Zustand der emotionalen Sorglosigkeit der Vergangenheit angehört. Die Metapher des Fallens dient auch in Beispiel (4) dem Ausdruck der Verzweiflung einer erkrankten Person nach der Diagnosestellung.
Die übergreifende Funktion der in den Beispielen (1) bis (3) verwendeten Metaphern besteht darin, den in den Texten auftretenden Testimonials emotionale Entlastung zu ermöglichen und die individuellen Krankheitserfahrungen mit den Kommunikationspartnern zu teilen, so dass diese vom durch Erfahrung legitimierten Expertenstatus der Textproduzenten profitieren können. Auf einer zweiten Ebene sollen die kommunikativen Ziele der Persuasion und der Verständnissicherung durch den gezielten Einsatz von Metaphern effektiver erreicht werden.
3.2. Das Schildern negativer Folgen der Erkrankung
Hinsichtlich der negativen Folgen der Erkrankung treten Metaphern aus dem Bereich des Sports bzw. allgemein der Bewegung auf.
(5) Nach der Krebsdiagnose als Kind mussten Sie weitere gesundheitliche Tiefschläge hinnehmen. (Alexander Spitz und Leander, Knochenkrebs) |
(6) Der Tod meiner Mutter hat die ganze Familie traumatisiert und durchgeschüttelt. (Maite Kelly, Brustkrebs) |
(7) Plötzliche Machtlosigkeit war ein großer Gedanke und auch die Befürchtung, aus dem Spiel genommen zu werden, noch bevor mein Leben so richtig losgeht. (Susanne Klein, Hautkrebs) |
(8) Immer wieder lässt sich nachweisen, dass auch Fett- und Eiweißstoffwechsel aus der Balance geraten sind. (Diabetesstiftung) |
In Beispiel (5) schildern zwei an Knochenkrebs erkrankte Personen den Verlauf der Krankheit, die bereits in der Kindheit eines der Testimonials diagnostiziert worden ist, und heben die Tatsache hervor, dass diese nie vollständig geheilt werden konnte. Nach Phasen der Verbesserung des Gesundheitszustands trat der Krebs in regelmäßigen Abständen wieder auf, was teilweise erhebliche negative Auswirkungen auf den körperlichen und seelischen Zustand des Testimonials hatte. Durch den Gebrauch der Metapher des „Tiefschlags“ aus der Domäne des Boxsports wird die Macht, die der Krebs über das Leben der Person hat, in den Vordergrund gestellt, ebenso wie das Unvermögen, der Erkrankung etwas entgegenzusetzen. Weiterhin wird die Idee des unerwarteten und nicht planbaren Wiedererstarkens der Krankheit evoziert. In Beispiel (6) werden die Folgen der Erkrankung und die Veränderungen geschildert, die die Diagnose Krebs bei einem nahen Angehörigen für die übrigen Familienmitglieder bedeutet. Die Textproduzentin verwendet in diesem Kontext die Metaphern des „Durchschüttelns“, welche das Bild einer raschen, unkontrollierbaren Bewegung hervorruft, nach der nichts an seinem Platz bleibt. Die gewählte Metapher erlaubt es dem Testimonial, den Schmerz zu versprachlichen, der nach der Diagnose einer Krebserkrankung von den Betroffenen empfunden wird. In Beispiel (7) erfolgt mittels des Gebrauchs der metaphorisch geprägten polylexikalischen Einheit „aus dem Spiel genommen werden“ eine Gleichsetzung mit der Überraschung eines Mannschaftsspielers, der kurz nach Spielbeginn unerwartet ausgewechselt wird, mit dem Entsetzen eines Menschen, der eine Krebsdiagnose erhält und noch viele Pläne für sein Leben hatte. Schließlich lässt sich in Beispiel (8) die Gleichgewichts-Metapher belegen, wenn die physischen Folgen einer Diabeteserkrankung dahingehend beschrieben werden, dass bestimmte Stoffwechselprozesse im Körper der Erkrankten „aus der Balance geraten“ und somit den angestrebten Idealzustand, der Körper solle sich im Gleichgewicht befinden, gefährden.3
Die gemeinsame Funktion, die den in diesem Abschnitt diskutierten Metaphern zugrunde liegt, scheint im Verstärken des Ausdrucks des physischen und psychischen Schmerzes in der Folge der Erkrankung zu bestehen. Dies ist insbesondere in den Belegen der Fall, in denen die Metaphern von Erkrankten verwendet werden (= Enthüllen, „Sharing“). In einigen Fällen tritt die Funktion des Selbstschutzes und der Abwehr in den Vordergrund („aus dem Spiel genommen werden“). Stammen die Metaphern aus der Feder der Institutionen, verlagert sich ihre Funktion eher in den Bereich des Verhüllens („Verharmlosens“).
3.3. Der Ausdruck der Hoffnung auf Heilung
Metaphern, die dem Ausdruck der Hoffnung auf Heilung dienen, stammen häufig aus dem biblischen / religiösen Kontext.4
(9) Mir haben die blauen Ratgeber der Deutschen Krebshilfe sehr geholfen, teilweise waren sie eine echte Offenbarung. (Susanne Klein, Hautkrebs) |
(10) Dennoch sind Liebe und Licht stärker als der Tod. (Maite Kelly, Brustkrebs) |
(11) Ich bring Dich vom Dunkel zum Licht. (Linda Hesse, Song für krebskranke Kinder) |
(12) Mein Song ist eine helfende Hand oder eine Insel, die in einem düsteren Moment positive Gedanken ermöglicht. (Linda Hesse, Song für krebskranke Kinder) |
In Beispiel (9) wird auf die Informationsbroschüren der Deutschen Krebshilfe Bezug genommen, wobei diese informierend-aufklärenden Ratgeber vom Textproduzenten als von der Krankheit erlösende Heilsbotschaft biblischen Ausmaßes („Offenbarung“) bewertet werden. Das Testimonial in Beispiel (10) verwendet die im medizinischen Diskurs häufig auftretende Licht-Metapher, um ihrer Hoffnung auf Heilung Ausdruck zu verleihen. Ähnlich gelagert ist der Metapherngebrauch in Beispiel (11), in dem eine semantische Opposition zwischen Licht / Helligkeit (= Hoffnung, Optimismus) und Dunkelheit (= Angst und Trauer als Folge der Erkrankung) hergestellt wird. Auch diese Hell-Dunkel-Metapher lässt sich in zahlreichen Kontexten der fachexternen Medizinkommunikation belegen. Im Beispiel ist eine positive Entwicklung zu konstatieren, da sich die Bewegung „vom Dunkel zum Licht“ orientiert, d.h. dass die erkrankten Personen Hoffnung schöpfen können. Surmann [2002: 106] verweist in einem anderen Zusammenhang auf die Prominenz der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit und des Lichts im Kontext des metaphorischen Sprechens bei Patienten von Anfallserkrankungen. Aus den von ihm analysierten Gesprächen mit erkrankten Personen wird deutlich, dass „das Bewusstsein an die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit geknüpft“ ist [Surmann 2002: 106]. So sprechen die Betroffenen häufig von Zuständen der Dunkelheit, von grauen Farben und von der Abwesenheit des Lichts, wenn sich ein epileptischer Anfall ankündigt. Das ungetrübte Bewusstsein wird somit mit der Anwesenheit von Licht assoziiert, während bei einem Anfall die Dunkelheit auf die von den Patienten so empfundene „Entfernung von sich selbst“ [Surmann 2002: 106] verweist. Diese „Entfernung von sich selbst“ bezieht sich einerseits konkret auf eine stark reduzierte Sinneswahrnehmung, fokussiert aber auch den psychischen Effekt eines Anfalls. Insbesondere dieser letztgenannte, abstrakte Aspekt ist im Rahmen des hier vorgestellten Beispiels anschlussfähig, wenn es um die Metaphorisierung von Hoffnungslosigkeit (bezogen auf die Krebserkrankung bzw. nach Surmann auf den Anfall in seiner ganz konkreten, aber auch seiner mentalen Ausprägung) durch das Fehlen von Licht („Wegdrehen von Licht“; [Surmann 2002: 160]) einerseits und auf den Ausdruck von Hoffnung (Heilungschancen bei Krebs) und Wohlergehen (der Anfallspatient fühlt sich wieder als vollständiges Individuum) durch die Anwesenheit von Licht geht.
In Beispiel (12) wird das Lied, das die Textproduzentin für krebskranke Kinder komponiert hat, personifiziert und als „helfende Hand“ bzw. „Insel“ metaphorisiert, die den Betroffenen einen Abstand bzw. eine Pause von den mit der Krankheit verbundenen Ängsten und Unsicherheiten ermöglicht und ihnen zugleich das Gefühl vermittelt, nicht alleine zu sein.
Eine Automaten- bzw. Motoren-Metapher steht im Zentrum von Beleg (13), wenn die Deutsche Krebshilfe laut Aussage des Testimonials „Motor“ und „Antriebskraft“, d.h. Motivation für den Betroffenen war, um den Kampf gegen den Krebs nicht aufzugeben. Während sich die Motoren-Metapher im Beleg auf die Unterstützung durch eine Institution bezieht, wird sie im medizinischen Diskurs häufig im Zusammenhang mit Erkrankungen des Herzens herangezogen. So zeigen Brünner und Gülich [2002: 16] in ihrer Studie, dass das Herz als zentrales Organ des Menschen in der Experten-Laien-Kommunikation ganz konkret als Motor des Kreislaufs, aber in einem weiteren Sinne auch als Motor des Menschen oder sogar, in einem noch abstrakteren Sinne, als Motor des Lebens bezeichnet wird. In Hinblick auf die metaphorische Darstellung der Deutschen Krebshilfe im Korpusbeleg sind daher funktionale Überschneidungen mit der weitgefassten Lesart der Motoren-Metapher aus Brünner / Gülich zu konstatieren, wenn die Institution in den Aussagen der Textproduzenten als „Motor des Individuums“ konzeptualisiert wird.
In Beispiel (14) erfolgt wiederum eine Personifizierung der Krankheit, die aber durch gesundheitsförderndes Verhalten in Schach gehalten („zurückgedrängt“) werden kann. Durch die Personifizierung wird die Erkrankung greifbar gemacht und auf die Möglichkeit verwiesen, diese durch eigenes Bemühen in den Griff zu bekommen. In diesem Zusammenhang lässt sich wiederum ein interessanter Bezug zu den hier analysierten Metaphern und der Arbeit von Brünner / Gülich [2002] zu Verfahren der Veranschaulichung in der Experten-Laien-Kommunikation feststellen. Die Autorinnen zeigen anhand ausgewählter Beispiele, dass Sprecher im Rahmen der metaphorischen Kommunikation über den menschlichen Körper auf das Verfahren der Personifizierung bzw. der Anthropomorphisierung zurückgreifen: „Der Körper als ganzer oder einzelne Körperteile werden als handelnde Personen veranschaulicht, biologische Prozesse als Handlungsprozesse.“ [Brünner / Gülich 2002: 30]. In ihrem Korpus werden dem Körper bzw. dem Herzen als zentralem Organ mit dem Ziel der Veranschaulichung medizinischer Sachverhalte und Vorgänge im Körper sowohl praktische als auch mentale Handlungen zugeschrieben. In Beispiel (14) lässt sich somit genau dieses anthropomorphisierende Verfahren beobachten, wenn im Kontext der Erkrankung von konkreten physischen Handlungen (ähnlich der Bewegung des Zurückdrängens einer unliebsamen Person) gesprochen wird.
In Beispiel (15) tritt die Kampfmetapher (vgl. dazu auch die Kontrollmetapher nach Schachtner [1999]) auf, um die Textrezipienten davon zu überzeugen, aktiv gegen Risikofaktoren, die das Entstehen eines Diabetes fördern, anzugehen (hier: Bauchfett eindämmen). In diesem Kontext darf jedoch die Tatsache nicht aus dem Blick geraten, dass auch die Krankheit „kämpfen“ und eine Vielzahl kriegerischer, physisch und psychisch verletzender Handlungen vollziehen kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Krankheit „zuschlägt“ oder Personen „in die Knie zwingt“ (Beispiele von der Webseite der Diabetesstiftung).
(13) Also, ich habe einfach gemerkt, über die ganzen Jahrzehnte, dass die Deutsche Krebshilfe der eigentliche Motor und die Antriebskraft ist, um gegen diese Volkskrankheit anzugehen. (Alexander Spitz und Leander, Knochenkrebs) |
(14) Selbst bei einem Typ-2-Diabetes […] kann durch eine Umstellung der Lebensgewohnheiten die Erkrankung erfolgreich zurückgedrängt werden. (Diabetesstiftung) |
(15) Es lohnt sich, diesem den Kampf anzusagen. (Diabetesstiftung) |
(16) Mit einer gesünderen Lebensweise kann der Mensch mit Typ-2-Diabetes die Krankheit oft in einen "Schlummerzustand" versetzen. (Diabetesstiftung) |
Nach Kovács [2009: 48] handelt es sich bei der Kampf-Metapher („Kampf im Körper“) um die Leitmetapher im medizinischen Diskurs:
Das menschliche Immunsystem wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts in vielen populären und wissenschaftlichen Texten als ein Schlachtfeld mit zwei Gegnern dargestellt […]. Auf der einen Seite steht die große und komplexe Einheit ‚Körper‘, ihm entgegengesetzt der ‚Feind‘ in Form von diffusen kleinen fremden Stoffen und Lebewesen.
Die übergreifende Funktion der Metaphern, die der Hoffnung auf Heilung Ausdruck verleihen, besteht darin, anderen Betroffenen Mut machen. Jedoch wird auch die eigene Verantwortung für die Gesundheit unterstrichen, wobei einige Metaphern handlungsauslösend wirken im Sinne des Induzierens von Verhaltensänderungen im Kontext der Präventionskommunikation.
3.4. Der Bezug auf gesundheitsschädigendes Verhalten
Werden Risikofaktoren für eine Krebs- oder Diabeteserkrankung thematisiert, erfolgt nicht selten eine Personifizierung gesundheitsschädigender Verhaltensweisen.
(17) Eine Lebensstiländerung ist gewiss nicht leicht, haben sich viele Gewohnheiten über den Lauf der Jahre fest eingeschliffen. (Diabetesstiftung) |
(18) Rauchen ist "der" Blutgefäß-Killer und krebserregend. (Diabetesstiftung) |
In Beispiel (17) wird die Tatsache herausgestellt, dass ungesunde Gewohnheiten sich festsetzen bzw. habitualisieren und nur durch einen gewissen Aufwand und Mühen geändert werden können. Dies liegt an der metaphorischen Verwendung des technischen Verbums einschleifen. In Beispiel (18) erfolgt eine Personifizierung des Rauchens als Risikofaktor, der ursächlich für das Entstehen einer Diabeteserkrankung ist. Durch solche Metaphorisierungen soll in erster Linie der Persuasionsgrad bei der Darstellung von Risikofaktoren erhöht werden. Insbesondere die Mörder-Metapher in Beispiel (18) („Blutgefäß-Killer“) hebt in der Manier eines Furchtappells die hohen Risiken des Tabakkonsums hervor.
3.5. Metaphern für das Leben
Im Korpus wird das Leben als Weg metaphorisiert, der nicht immer geradlinig und problemlos verläuft. Das Leben wird mit Hilfe der Metapher der Kurve bezeichnet, die die Betroffenen aus dem Gleichgewicht bringen kann:
(19) Es geht im Leben nicht nur geradeaus. Es gibt auch Kurven, da fliegst Du plötzlich raus. (Linda Hesse, Song für krebskranke Kinder) |
Zusammenfassung und Ausblick
Die exemplarische, qualitative Auswertung eines Korpus von zwei ausgewählten Präventionswebseiten zeigt eine funktionale Vielfalt der verwendeten Metaphern im fachexternen Medizindiskurs auf, von denen einige diskursbereichspezifische Funktionen haben und den der Präventionskommunikation übergeordneten kommunikativen Funktionen der Persuasion und des Wissenstransfers unterzuordnen sind. Der Fokus der Analyse liegt auf den Metaphern, die Testimonials im Rahmen von Fallbeispielen und Furchtappellen an die Zielgruppe adressieren, um diese zu einem gesundheitsförderlichen Verhalten zu bewegen. Der im vorliegenden Beitrag betrachtete Ausschnitt aus der medizinischen Kommunikation ist somit im Kontext der fachexternen Kommunikation zu verorten, die zwischen durch eigene Krankheitserfahrung legitimierten Testimonials (zum Begriff der Erfahrungsexperten vgl. Kleinke [2015: 407-408]) einerseits und interessierten Laien andererseits abläuft.
In einem ersten Schritt wurde versucht, die Frage zu beantworten, zu welchem Zweck Metaphern im Korpus eingesetzt werden und ob sich in diesem Zusammenhang diskursbereichspezifische Bereiche nachweisen lassen. In den untersuchten Fallbeispielen und Furchtappellen dienen Metaphern primär dazu, Angst, Hilflosigkeit oder Überforderung der Betroffenen nach der Diagnose herauszustellen, die negativen Folgen der Erkrankung zu schildern, der Hoffnung der Erkrankten auf Heilung Ausdruck zu verleihen und Bezug auf gesundheitsschädigendes Verhalten zu nehmen. In diesem Kontext lassen sich unterschiedliche Typen von Metaphern belegen. So wird die Krankheit, wenn der Ausdruck von Hilflosigkeit der Betroffenen im Zentrum steht, durch die Berg- oder Flut-Metapher als Naturgewalt bzw. als unüberwindbares Hindernis dargestellt, das sich dem Einflussbereich des Individuums entzieht. In den Fällen, in denen negative Folgen der Erkrankung geschildert werden, greifen die Textproduzenten auf die Sport- oder allgemein auf die Bewegungs-Metapher zurück. In diesem Kontext lässt sich die Gleichgewichts-Metapher als Schlüsselmetapher der Medizinkommunikation nachweisen, wenn die Tatsache unterstrichen werden soll, dass der Körper aus der Balance geraten ist. Die Hoffnung auf Heilung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle auf den untersuchten Webseiten, um den Betroffenen Mut zu machen. Hier ist auffällig, dass in vielen Fällen Retter- bzw. Heiler-Metaphern verwendet werden; aber auch die Hell-Dunkel-Metapher und die im Medizindiskurs häufig verwendete Kampf-Metapher treten in den Texten auf. Hinsichtlich des Herausstellens der Folgen gesundheitsschädigenden Verhaltens ist festzuhalten, dass spezifische Risikofaktoren häufig eine Anthropomorphisierung erfahren.
Die Metaphern im Korpus erfüllen unterschiedliche Funktionen, abhängig vom kommunikativen Zweck, zu dem sie eingesetzt werden. So sind Metaphern Teil der Entlastungskommunikation, wenn Testimonials ihre Krankheitserfahrungen, den physischen und psychischen Schmerz in der Folge der Erkrankung mit den Rezipienten teilen. Weiterhin können Metaphern die Funktion der sozio-emotionalen Unterstützung gewährleisten, wenn den Textrezipienten Mut gemacht werden soll. Häufig geht dies einher mit dem Bestreben, die Krankheit zu entdämonisieren. Speziell auf den Bereich der Präventionskommunikation bezogen haben Metaphern in Furchtappellen das Potenzial, die Verantwortung der Rezipienten für das eigene Gesundheitsverhalten zu unterstreichen und gleichzeitig bei der Darstellung von Risikofaktoren den Persuasionsgrad der Texte zu erhöhen.
Die identifizierten Metaphern sind nicht unbedingt als spezifisch für den Bereich der Krebs- / Diabetes-Prävention oder gar für die Präventionskommunikation anzusehen, sondern finden sich vermutlich in unterschiedlichen medizinischen Textsorten, die sich auf unterschiedliche Krankheitsbilder beziehen. Dies müsste im Rahmen einer Vergleichsstudie systematisch erforscht werden; es zeigt sich jedoch, dass gewisse Schlüsselmetaphern der Medizinkommunikation im Korpus verwendet werden, z.B. die Gleichgewichts-Metapher oder die Kampf-Metapher. In einem weiteren Schritt könnte es interessant sein, eine Differenzierung hinsichtlich des Metapherngebrauchs einerseits von Testimonials, andererseits von Seiten der Institutionen vorzunehmen, denn die unterschiedliche kommunikative Funktion der produzierten Texte spiegelt sich sehr wahrscheinlich in den verwendeten Metaphern wieder.