Einleitung
Umweltschutz und Naturschutz sind bis heute positiv konnotierte Begriffe, die im Laufe des 20. Jahrhunderts immer neue Konjunkturen erlebten. Unter dem Eindruck fortschreitender Industrialisierung und Urbanisierung lässt sich um 1900 eine „umwelthistorische Sattelzeit1“ feststellen, in der Umweltthemen an öffentlicher Bedeutung gewannen. Auch in dem hier behandelten Zeitabschnitt des Nationalsozialismus herrschte eine positive Bewertung der Begriffe vor, wobei „Naturschutz“ zeitgenössisch der dominierende Begriff war.
1935 wurde das Reichsnaturschutzgesetz (RNG) erlassen, „das mit weitreichenden Bestimmungen nahezu alle Wünsche der zeitgenössischen Naturschützer erfüllte2.“ Die Naturzerstörung wurde gebrandmarkt, und der Schutz galt der belebten Natur, vor allem der Tier- und Pflanzenwelt, aber auch einer flächendeckenden Gestaltung, indem die „Landschaftspflege“ einbezogen wurde. Das Gesetz sah sogar eine Beteiligung des Naturschutzes an landschaftsverändernden Planungen, etwa dem Autobahnbau, vor. Dieser Aufsatz möchte den Niederschlag des RNG im Nationalsozialismus erforschen, darüber hinaus seine Verwurzelung in der deutschen Ideengeschichte – auch in literarischer Hinsicht – aufzeigen. Wie schlug sich die gesellschaftliche Haltung zum Naturschutz in der politischen Praxis des NS-Regimes nieder?
Landschaftspfleger und -architekten, die im Nationalsozialismus auch als Landschaftsanwälte bezeichnet wurden, waren zwar nicht immer Parteimitglieder, sympathisierten aber meist offen mit der nationalsozialistischen Bewegung. Manche von ihnen wie Walther Schoenichen, Hans Klose, Heinrich Wiepking-Jürgensmann oder Alwin Seifert leisteten wesentliche Beiträge zur ideologischen Erweiterung des Nationalsozialismus auf Themen des Natur- und Landschaftsschutzes. Deshalb erfolgt neben der ideengeschichtlichen Annäherung im Folgenden auch eine historisch-empirische, die die Implementierung der natur- und umweltrechtlichen Vorschriften und Vorstellungen in der politischen Praxis untersucht. Es ist bekannt, dass unter dem Nationalsozialismus die gesamte deutsche Volkswirtschaft auf die Kriegsführung umgestellt wurde: Wie passten sich Naturschutz und Landschaftsgestaltung darin ein?
Das Thema „Naturschutz und Nationalsozialismus“ wurde in der Fachliteratur schon von verschiedenen Warten angenähert, vor allem mit einem allgemeinhistorischen Zugriff3, aber auch unter einem rechtshistorischen4 und einem wirtschaftshistorischen Blickwinkel5. Die hier folgenden Überlegungen bieten eine Synthese dieser Ansätze und ergänzen sie um eine literaturwissenschaftliche Betrachtung, die Hinweise auf die mentalitätsgeschichtliche Disposition der deutschen Bevölkerung in dem hier behandelten Zeitabschnitt der 1930er und 1940er Jahre gibt.
Heimat und Natur in Löns Roman Der Wehrwolf6
Der ideologisch begründete Heimatbegriff hatte in Deutschland eine lange Tradition. Über die Jahrhunderte kam dies in dem Mythos „Deutscher Wald“ zum Ausdruck, der mit Fug und Recht in die Sammlung deutscher Gedächtnisorte, als lieu de mémoire, hätte aufgenommen werden können7. Es handelte sich dabei um kulturelle Bezugspunkte, Orte, Praktiken und Ausdrucksformen, die aus einer Vergangenheit hervorgingen, die für eine Nation konstitutiv war.
Im 19. Jahrhundert entdeckten die Romantiker den Wald für sich: Er wurde zur Seelenlandschaft ihrer Empfindsamkeit, die in Verbindung mit der deutschen Nation stand. Bis heute herrscht die Vorstellung vor, dass kaum eine Nation „eine derart intensive Beziehung zum Wald wie die Deutschen“ habe, wie 2012 ein Radiobeitrag der Deutschen Welle hervorhob8. Ein ideologisch verbrämter Wald- und Naturbegriff wurde auch im Nationalsozialismus aufgenommen, wie etwa der Propagandafilm Ewiger Wald von 1936 zeigte.9 Darin wurde „des ewigen Waldes neue Gemeinschaft“ als deutsche Eigenart stilisiert; im Wald liege der Ursprung des deutschen Volksempfindens. Die 1930er Jahre waren von dieser Perzeption von Natur und Wald geprägt. Ein erfolgreicher Roman, der Natur und Wald als Verwurzelungspunkte für die deutsche Geschichte postulierte, war Hermann Löns‘ „Der Wehrwolf“, der 1910 publiziert wurde. Schon bis 1923 wurde er in einer Auflage von 460.000 Exemplaren gedruckt und avancierte bis 1939 zu einem der meistgelesenen Romane Deutschlands10.
Einige Elemente dieses Romans bildeten den geistesgeschichtlichen Hintergrund für die vorherrschende Mentalität der 1930er Jahre, die von einer übersteigerten Heimatliebe in eine aggressive Kriegsstimmung umschlug. Löns verlegt den Kampf seines blonden Helden Harm Wulf in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Er durchlebt verschiedene Situationen, in denen er seinen eigenen Rechtsbegriff mit Gewalt durchsetzt, wobei er die „lästigen Fesseln der religiösen und kulturellen Gebote“ abschüttelt. Die Feinde sollen nicht nur vertrieben, sondern gleich getötet werden. Das Buch verklärt „reine Gewalt zu strahlendem Heldentum11“. Der Beginn der Handlung wird in die Lüneburger Heide verlegt, für deren Deklarierung als Naturschutzgebiet sich Löns seit 1911 einsetzte. Die Heide wurde als Wiege der Germanen bezeichnet, die sich aus dem Norden kommend dort niederließen12. Wulf ist der Held, eingebettet in die Natur, die es zu schützen gilt: Die Heide war anfangs wüst und leer, bis sie von den Menschen nordischer Abstammung besiedelt wurde: Da ihnen die Kulturtechniken des Ackerbaus und der Nutztierhaltung bekannt waren, machten sie aus der Heide eine naturbelassene Kulturlandschaft, mit der sie eng verbunden waren13. Die Vorstellung der Eroberung eines Gebietes wohnt diesem Schöpfungsmythos ebenfalls inne, ihre Umwandlung zu einem neuen Lebensraum – im Kampf gegen die minderwertigere Kultur, die sie bei der Landnahme angetroffen hatten. Gleichzeitig erfolgte eine Überhöhung der Natur, die in engem Einklang mit den Siedlern, die sich in der Heide niederließen, gedacht wurde. Und schließlich zog der leidenschaftliche Held in die Fremde aus, zum Kampf um seine deutsche Heimat.
Die Verlegung der Handlung ins Historische trug dazu bei, ein germanisches Heldentum aufleben zu lassen14. Die Schaffung solcher Mythen brachte Löns den Ruf als „Heidedichter“ ein, denn das Landschaftsideal dieses „Heimatschriftstellers“ war die Heide. Ähnlich wie beim deutschen Wald wurde eine Verbindung zum deutschen Boden und zur deutschen „Wesensart“ geschaffen. Diesem Denken folgend wurde die deutsche Nation weit in die Geschichte zurückprojiziert. Als Anknüpfungspunkt diente oft der Sieg Hermann des Cheruskers in der Schlacht am Teutoburger Wald gegen die Römer.
Löns Roman sei „weiteren Kreisen unseres zivilisationsüberfütterten Zeitalters“ ein „Sang nach dem Herzen“, ein „Wehrgesang“ in dem von Feinden umstellten Deutschland15. Solcherlei Mythen waren unter der auf Deutsch lesenden Bevölkerung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus sehr verbreitet. Sie prägten das Denken der Zeit, abgesehen davon, dass sich die hier skizzierte Heldengeschichte von Harm Wulf als Vorwegnahme des vom nationalsozialistischen Regime propagierten Überlebenskampf des deutschen Volkes lesen lässt.
Naturschutzrecht unter dem Nationalsozialismus
Wechseln wir die Ebene und begeben uns auf das Feld der Gesetzgebung der 1930er Jahre. Um die Rechtslage zum Naturschutz zu vergegenwärtigen, ist zunächst einmal ein Blick auf die Gesetze nötig, die die Nationalsozialisten nach ihrem Machtantritt erließen. Die nationalsozialistische Naturschutzpolitik setzte beim Tierschutz an. Die erste gesetzliche Maßnahme war das Schlachtgesetz vom 4. April 1933. Sicherlich gehörte Schlachten sicherlich nicht im eigentlichen Sinne zum Tierschutz, doch wird die eigenartige Gedankenmischung dieser Zeit damit auf den Punkt gebracht. Das Gesetz zielte darauf, dem Nutzvieh und den Wildtieren unnötiges Leiden und Schmerzen zu ersparen16. Nebenbei richtete es sich auch gegen das Schächten, das heißt die Schlachtvorschriften gemäß den Regeln des jüdischen Glaubens. In der Folge wurde auf Druck der Tierschutzverbände ein erweitertes Tierschutzgesetz ausgearbeitet. Dessen Ziel war es, die Tiere nicht nur um ihrer selbst willen zu schützen, sondern ihr Schutz wurde als „Gradmesser für die Kulturstufe des Volkes“ angesehen17. Die damit angesprochene Beziehung zwischen Mensch und Tier sollte gestaltet werden: Das Tierschutzgesetz wollte der Rohheit und „Pflichtvergessenheit“ des Menschen gegenüber dem Tier Einheit gebieten18. Die Verrechtlichung enthielt ausführliche Verwaltungsvorschriften zur „Tierquälerei“, d. h. dem Schutz vor Schmerzen und Leiden, insbesondere unnötigem Quälen und roher Misshandlung. Die Schutzrechte wurde um die artgerechte Haltung, die Eindämmung der Geflügelmast, die Einschränkung der Pelztierhaltung in Farmen bis hin zum Kupierverbot bei Hunden und Pferden erweitert. Auch wurden Versuche an lebenden Tieren umfassend eingeschränkt. Die jagdbaren Tiere wurden Teil eines eigenen Gesetzeswerkes, des Reichsjagdgesetzes vom 3. Juli 193419. Eine weitere, auf die Natur bezogene nationalsozialistische Gesetzesmaßnahme richtete sich auf den Erhalt des Waldes. Er sollte vor Zerstörung bewahrt werden, vor allem durch unkontrollierte Abholzungen. Allerdings bezogen sich die Vorschriften allein auf nichtstaatliche Wälder, d. h. die privatrechtliche Nutzung von Waldgebieten20.
Schließlich wurde 1935 das umfassende RNG verabschiedet, das als Kernstück der nationalsozialistischen Bemühungen um den Naturschutz anzusehen ist. Die Reichseinheitlichkeit war das eigentlich Neue an seinen Definitionen und Bestimmungen, denn im Wesentlichen trug es nur landesrechtlich bestehende Regelungen sowie ältere Gesetze zusammen. Erstmals existierten aber nun reichsweit geltende Vorschriften, die sowohl Pflanzen als auch Tiere einbezogen und den Geltungskreis auf „nichtjagdbare“ Tiere erweiterten. Daneben standen Naturdenkmäler und ihre Umgebung, Naturschutzgebiete (sog. Urlandschaften) und Teile der Kulturlandschaft im Zentrum des Naturschutzes. Das Naturschutzgesetz war ein Rahmengesetz, wie das Tierschutzgesetz wurde es durch mehrere Verordnungen konkretisiert. Da der Reichstag als gesetzgebende Instanz durch das Ermächtigungsgesetz ausgeschaltet worden war, kam es als „Regierungsgesetz“ ohne parlamentarische Mitwirkung zustande. Die Initiative zum RNG und seine Durchsetzung werden Hermann Göring zugeschrieben, der den Naturschutz in seinen eigenen Machtbereich einverleibte. Nachdem er am 3. Juli 1934 an die Spitze des neugeschaffenen Reichsforstamtes gerückt war, bügelte er die verwaltungsinternen Debatten um das Reichsnaturschutzgesetz ab. Schließlich brachte er das Gesetz in einem Eilverfahren durch das Kabinett21.
Damit hatte der Naturschutz im Nationalsozialismus etwas historisch-akzidentelles, er war ein „Zufallsprodukt“. Den Naturschützern sei das Gesetz, der „größte Erfolg der NS-Zeit“, in den Schoß gefallen22. International seien die Gesetze „gefeiert“ worden, „da sie zu dieser Zeit als ‚modern‘ galten23.“ Angesichts dieser Umstände kommt dem historischen Kontext des Gesetzeswerkes umso größere Bedeutung zu, denn das RNG wurde in einer Zeit verabschiedet, als das Autarkie- und Rüstungsprogramm der Nationalsozialisten schon voll im Gang war. Nachdem Hitler schon wenige Tage nach der Machtübernahme ein Bekenntnis zur Aufrüstung abgegeben hatte, setzte eine Lenkung der verfügbaren Ressourcen in die kriegswichtigen Bereiche ein. Die enorme Erhöhung der Staatsverschuldung wurde nicht als Konjunkturstimulus oder als Instrument für eine Wohlstandsverbesserung eingesetzt, denn die Kriegsvorbereitung hatte bei allen Finanzierungsentscheidungen Priorität24. Die Frage ist, welche Spielräume für den Umweltschutz angesichts dieser Prioritätensetzung verblieben.
Auf diese Konfliktfelder wies bereits Hans Klose hin, der als Leiter des zentralen Referats für Naturschutz im Reichsforstamt das RNG federführend gestaltet hatte: Er brandmarkte die Naturzerstörung vor 1933 grundsätzlich, bemerkte aber zugleich, dass nach der Machtübernahme keine Änderung eingetreten sei. Dies betrachtete er wiederum als Notwendigkeit und bewertete es angesichts eines „großen Zieles“ als positiv. Als solches sah der Autor die „eiserne Notwendigkeit“ an, „in schnellstem Zeitmaße Arbeitsgelegenheiten zu schaffen“. Außerdem würden
Kulturwerke größten Ausmaßes […] begonnen und durchgeführt: Fruchtlandgewinnung aus Heide, Moor und Gewässer, Aufforstung ungenutzter Kahlflächen, Siedlung, Schaffung neuer Verkehrswege unter planmäßigem Einsatz der Arbeitslosen und des Arbeitsdienstes25.
Zwar habe das NS-Regime mit dem RNG eine feste Grundlage für den Naturschutz geschaffen, doch war das nun verbriefte „Recht der Natur“ ein Bestandteil des „totalen Staates26“.
Schorfheide als Naturschutzgebiet
Hermann Göring, die treibende Kraft hinter dem RNG, akkumulierte viele Funktionen innerhalb des NS-Staates. Als er zum Reichsforst- und Reichsjägermeister ernannt wurde, bekleidete er bereits die Ämter des preußischen Ministerpräsidenten und des Reichsluftfahrtministers. 1936 stieg er dann zum Leiter der neu errichteten Vierjahresplanbehörde auf, die ihn zum Lenker der Kriegswirtschaft werden ließ. Diese Führungsfunktion ließ im Grunde gar keine Parteinahme für den Naturschutz zu. Dennoch spielt er die Rolle als Naturschützer weiter. Diese Ambivalenz ist umso verständlicher, als er auf diese Art seine Pläne für einen Naturpark und ein staatliches Jagdrevier in der Schorfheide nördlich von Berlin vorantreiben konnte – nicht zuletzt für seinen eigenen Gebrauch27. Bereits in das RNG war der § 18 über Reichsnaturschutzgebiete aufgenommen worden, der auf die Schorfheide wie zugeschnitten war. Görings Begeisterung mündete in dem Projekt, ein im Grenzbereich der Landkreise Niederbarnim, Angermünde und Templin gelegenes 550 Quadratkilometer (qkm) großes Gebiet unter Naturschutz zu stellen28. Damit war das Gebiet um ein Drittel größer als das alte königliche Jagdrevier im Jahr 1919 (rund 400 qkm), aber deutlich kleiner als das 1990 entstandene Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin (1.291 qkm).
Görings Förderung der Schorfheide und ihre Ausweisung als Naturschutzgebiet entsprangen seiner persönlichen Begeisterung für diesen Landstrich29. Seine Vorstellungen orientierten sich an den existierenden Nationalparks in der Vereinigten Staaten von Amerika. Unweit von Berlin gelegen, handelte es sich bei der Schorfheide um ein seit dem Mittelalter beliebtes Jagdgebiet. Zu diesem Zweck wurde es seit Jahrhunderten von den preußischen Monarchen gepflegt und genutzt. Autoren wie Theodor Fontane hatten sie als einzigartiges Stück Erde gelobt, das seit langer Zeit bei königlichen Jagden mit Stolz vorgeführt worden war. Zur Bewahrung dieser Funktion hatte Kaiser Wilhelm II. ein Jagdverbot für Großwild erlassen, das bis 1945 in Kraft blieb. Auch die Reichspräsidenten Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg setzten die Tradition der königlichen Jagden fort. Der Ruf dieses traditionsreichen Jagdgebietes erregte auch Görings Interesse. Seit den späten 1920er Jahren bemühte er sich um die Teilnahme an Jagdausflügen in der Gegend. Als er 1930 preußischer Ministerpräsident wurde, ließ er die reglementierenden Jagdschutzbestimmungen für die Schorfheide erneuern und sicherte sich zugleich ein eigenes Jagdrevier.
Außerdem ließ Göring in der Schorfheide ein repräsentatives Landgut bauen, das er nach seiner verstorbenen Ehefrau Carinhall benannte. Die sterblichen Überreste Carins wurden in ein Mausoleum überführt, das unweit der Landresidenz im Juli 1934 eingeweiht wurde. Einer Schätzung zufolge kostete der Bau von Carinshall rund 7,5 Millionen Reichsmark30. Im Stile der historischen Persönlichkeiten frönte Göring in der Schorfheide seiner Jagdleidenschaft und empfing dort hochrangige, auch ausländische Gäste. Über die gesamte Dauer der nationalsozialistischen Herrschaft hinweg nutzte er die private Landresidenz auf diese Weise.
Als Maßnahme des Artenschutzes wurde der europäische Bison, der Wisent, wieder in der Schorfheide angesiedelt. Mit Hilfe des Berliner Zoologischen Gartens wuchs die Population bis 1940 auf etwa 70 Exemplare an. Andere Versuche, die weniger erfolgreich verliefen, betrafen die Ansiedlung von Wildpferden und Elchen. Ein 1936 eröffnetes Wildgehege mit rund 200 Tieren lockte in den ersten anderthalb Jahren seiner Existenz mehr als 100.000 Besucher an31. Aufgrund der Größe des Gebiets geriet die Popularität der Schorfheide nie mit den Feierlichkeiten und Staatsakten in Carinhall in Konflikt. Göring ließ verlauten, er wolle die Attraktivität des Gebietes für die Allgemeinheit durch eine spezielle Stiftung Schorfheide fördern. Durch ein Gesetz vom 25. Januar 1936 wurde sie ins Leben gerufen; sie sollte „das Gefühl der Verbundenheit mit der Natur, insbesondere bei der städtischen Bevölkerung, wecken und vertiefen“; gleichzeitig sollte die Stiftung „ein Schutzgebiet“ für bedrohte Pflanzen und Tiere schaffen32.
Die Stiftung wurde vom preußischen Staat finanziert und war für ein Gebiet zuständig, das ungefähr der Ausdehnung des Naturschutzgebietes entsprach. Doch sie diente noch einem anderen Zweck, denn aus ihrem Haushalt für das Jahr 1936 ging hervor, dass 225.000 Reichsmark für Jagdausgaben ausgegeben wurden. Göring ließ sich das teure Vergnügen seiner Jagden aus Stiftungsgeldern finanzieren. Auch Rechnungen für Carinhall übernahm die Stiftung für den Naturschutz33. Somit diente sie als Tarnorganisation für den extravaganten Lebensstil des nationalsozialistischen Politikers. Göring verbrachte auch noch in der Kriegszeit immer wieder lange Zeitabschnitte in seinem luxuriösen Landgut. Außerdem brachte er dort große Teile seiner privaten Kunstsammlung unter, die er in ganz Europa rauben ließ. Als die Rote Armee immer mehr verrückte, ließ Göring seine geliebten Wisente erschießen. Das Gut Carinhall, das während des gesamten Krieges weder Bombenangriffe noch Artilleriebeschuss erlebte, ließ er verminen und schließlich am 28. April 1945 sprengen, als die sowjetischen Truppen nahten.
Naturdenkmäler
Eine traditionell prestigeträchtige Art für den Naturschutz einzutreten, war die Benennung von Naturdenkmälern, ein älterer Begriff, den bereits Alexander von Humboldt geprägt hatte. Er stellte sie in eine Reihe mit Kultur- und Baudenkmälern und sah sie in romantischer Sichtweise als Ausdruck der Geschichte und des Charakters einer Landschaft an34. Im Allgemeinen waren Naturdenkmäler idyllische oder wissenschaftlich wertvolle Orte, denen eine objektbezogene Denkmalpflege zukommen sollte. Für die Durchführung waren zunächst die Kultusbehörden zuständig. Die staatliche Sorge um ihre Schutzwürdigkeit begann nach der Jahrhundertwende, als ihr Schutz 1902 im hessischen Denkmalschutzgesetz verankert wurde. 1905 erfolgte mit der Einrichtung des bayrischen „Landesausschusses für Naturpflege“ eine erste Institutionalisierung des Naturschutzes. Eine weitreichende Wirkung hatte vor allem 1906 die Gründung einer „Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen“, die im Verbund mit Ausschüssen auf Provinzebene ein „weltweit einmaliges Naturschutznetzwerk“ aufbaute35.
Unter dem Nationalsozialismus wurde der Begriff des Naturdenkmals 1935 im RNG (§§ 12‑16) festgeschrieben. Das Gesetz nahm die Idee der „Einzelschöpfungen der Natur“ auf, deren Erhalt den „weltanschaulichen Bedürfnissen des Volkes“ entspreche. Beispielhaft aufgezählt wurden „erdgeschichtliche Aufschlüsse“, Wanderblöcke, Gletscherspuren, Quellen, Wasserläufe und Wasserfälle, Schluchten sowie alte oder sehr seltene Bäume. Die seit 1910 erscheinende Zeitschrift „Beiträge zur Naturdenkmalpflege“ wurde in der NS-Zeit von Walther Schoenichen herausgegeben, der von 1933 bis 1938 auch Leiter der Reichsstelle für den Naturschutz war. Er beklagte, dass „viele Naturdenkmale fremder Länder an Größe und Wucht allem überlegen [seien], was sich in unserem Heimatland an Offenbarungen der Naturgewalten befindet36.“ Ihm schwebten vor allem die „ungeheure Schlucht des Colorado-Flusses“ vor, die „gewaltigen Geiser des Yellowstone-Parkes“ und der 800 Meter hohe Yosemite-Fall, die er auf einer Amerikareise selbst gesehen hatte37. Auch wenn es Deutschland gegenwärtig an solchen „titanenhaften Denkmalen“ fehle, seien dort vor Millionen Jahren die gleichen Naturkräfte am Werke gewesen. Nun müsse man die vergleichsweise bescheidenen Naturerscheinungen, inspiriert vom „Heimatbewusstsein“, wahrnehmen. Das weniger Spektakuläre deutscher Landschaften solle aus einer kulturellen Identifikation mit Heimat- und Vaterlandsliebe den beeindruckenden Naturmonumenten anderer Länder zumindest gleichwertig erscheinen. Er schlägt eine entsprechende Uminterpretation der deutschen Naturdenkmale vor mit Fokus auf die deutsche „Urlandschaft“, die in der aktuellen Landschaft noch erkennbar sei und deren Charakteristikum ihre „deutschen Wesenszüge“ seien38.
In der Forschung, so ein von Frank Uekötter formuliertes Desiderat, bliebe zu beleuchten, was ein bestimmtes Naturdenkmal in der NS-Zeit konkret für ein spezielles Naturschutzgebiet und eine Region bedeutete.39 Ein Beispiel für die nationaldeutsche Verwurzelung war der „Sachsenhain bei Verden“, ein 1935 errichtetes Naturdenkmal für 4.500 durch Karl den Großen angeblich getötete Sachsen. Der Ort mit vermeintlich historischer Bedeutung wurde mit der Landschaftsformation in Verbindung gebracht. Den Stoff hatte der Heidedichter Hermann Löns in seiner Kurzerzählung „Die rote Beeke“ (1906) verarbeitet. Unter dem Nationalsozialismus wurde im Auftrage von Heinrich Himmler als „Ahnenerbe“ eine groß angelegte Kultstätte für Feierlichkeiten errichtet. Die Absicht war die Schaffung eines nationalen Mythos, der tatsächlich bis ins 21. Jahrhundert in rechtsextremen Publikationen fortlebte40.
Bis 1940 wurden knapp 50.000 Naturdenkmäler ausgewiesen. Nach dem RNG war die Führung einer amtlichen Liste der Naturdenkmale, das Naturdenkmalbuch, die Aufgabe der unteren Naturschutzbehörde, d.h. der Naturschutzstellen auf Bezirks- und Kreisebene. Auf höherer Ebene führte der Reichsforstmeister als oberste Naturschutzbehörde die amtliche Liste der Naturschutzgebiete, das Reichsnaturschutzbuch41. Es war den Behörden unmöglich, sich mit gleicher Intensität allen Orten zuzuwenden, die zu Naturdenkmälern ausgerufen wurden. Dieses offenkundige Defizit lag daran, dass für den Nationalsozialismus „spektakuläre, öffentlichkeitswirksame Einzelaktionen“ kennzeichnend waren, und nicht etwa eine organisierte Bewegung für einen rationalen Umgang mit Natur- und Umweltressourcen.
Ein typisches Beispiel war der „Hohenstoffeln“ im Hegau westlich des Bodensees. Dieser Basaltkegelberg galt als „Ideallandschaft der Jugendbewegung“ und wurde um 1910 zum Symbol der frühen Naturschutzbewegung, als dort der Basaltabbau begonnen werden sollte42. Als Reaktion formierte sich eine Bewegung gegen die Zerstörung des Berges, die stark auf romantische Ideale zurückgriff. 1913 entstand dort die erste deutsche Bürgerbewegung für Naturschutz. Im Nationalsozialismus setzte sich Heinrich Himmler für die Bewahrung des Berges ein, als der Basaltabbau erneut begonnen werden sollte. 1938 ordnete Göring persönlich die Einstellung des Steinbruchbetriebes an. Im Mai 1941 wurde der Berg als Naturschutzgebiet in das Reichnaturschutzbuch eingetragen. Neben naturkonservatorischen Aspekten wurde seine Bedeutung für das Landschaftsbild besonders hervorgehoben.
Vergleichbare Erfolge in Sachen Naturschutz zu erzielen, war den vielzähligen Naturschutzstellen kaum möglich. Nur selten gelang es ihnen, die Zerstörung eines Naturdenkmals zu verhindern. Ihre per Gesetz vorgeschriebene Beteiligung an den Planungsentscheidungen blieb oftmals aus. Klose, der Referent aus dem Reichsforstamt, beklagte in einem Vortrag auf der Jahrestagung des Deutschen Forstvereins schon am 28. August 1935, dass viele Naturdenkmale bei der „Erzeugungsschlacht“ im Agrarsektor beseitigt und gefährdet wurden43. Der Landbedarf der öffentlichen Hand für Siedlungen, Reichsautobahnen oder militärische Einrichtungen war enorm. Noch offenere Worte wählte Hans Schwenkel, der Württembergische Landesbeauftragte für Naturschutz, zum stattfindenden „Angriff auf die deutsche Natur und Landschaft“. Dieser werde
in größtem Maßstab durch den Arbeitsdienst, die Arbeitsbeschaffung, die Forderung der Ernährung aus eigener Scholle, den Straßen- und Wasserbau zur Förderung des Verkehrs, die Aufrüstung, die Landsiedlung, die Moorkultivierung, die Bach- und Flußverbesserung, die Auflockerung der Großstadt, die Erzeugung möglichst vieler Rohstoffe, z.B. von Wolle im Inland, eingeleitet44.
Der Angriff ginge „weit über die Kultivierungsarbeiten Friedrichs des Großen hinaus“ und könne „höchstens mit den großen Rodungen des Mittelalters verglichen werden.“ Die entscheidende Instanz für diese Maßnahmen, die die Vierjahresbehörde durch das Autarkieprogramm in Gang setzte, war die Reichsstelle für Raumordnung, an deren Entscheidungen die Naturschutzbehörden nicht zu rütteln vermochten.
Naturschutz und Kriegswirtschaft
Die kriegsvorbereitende Umgestaltung des deutschen Wirtschaftssystems mit dem Ziel einer Kriegswirtschaft setzte in einem frühen Stadium der nationalsozialistischen Herrschaft ein. Schon manche 1933/34 ergriffene Maßnahme deutete auf den beabsichtigten Krieg hin. Die Wirtschaftsordnung entwickelte sich bereits zu Friedenszeiten in Richtung einer Kriegswirtschaft. Die Ausrufung des Vierjahresplans bildete darin eine markante Zäsur, in deren Folge Gesichtspunkte des Naturschutzes immer mehr an Gewicht verloren. Gleichzeitig fanden im Reichsforstamt personelle Veränderungen statt. Generalforstmeister von Keudell, der stark auf den Naturschutz gepocht hatte, wurde entlassen, denn seine fortwirtschaftlichen Konzepte erschienen unvereinbar mit der NS-Autarkiepolitik. Der ihm nachfolgende Generalforstmeister Friedrich Alpers setzte den personellen Umbau fort, indem er Walter Schoenichen in den vorzeitigen Ruhestand versetzte und Hans Klose zu seinem Nachfolger bestimmte45.
Ein Erlass des Reichsforstmeisters im Dezember 1937 erklärte, dass Zweck und Ziel der „waldbaulichen Entwicklung“ nicht der „naturgemäße Wald“, sondern der „Wirtschaftswald“ sei. Oberste Priorität genieße die „nationale Bedarfsdeckungswirtschaft46“, womit nichts anderes als die Autarkie- und Kriegswirtschaft gemeint war. Da Holz bei vielen traditionellen Nutzungsweisen wie auch in der Ersatzstoffwirtschaft eine wichtige Ressource war, erhöhte sich der Nutzungsdruck auf den Wald sukzessive. Ab Mitte der 1930er Jahre wurde mehr Holz geschlagen als zu jedem beliebigen Zeitpunkt in der Weimarer Republik oder dem Kaiserreich. Die Einschlagquote wurde hochgesetzt und nahm erst im Krieg wieder ab, als die Holzressourcen der besetzten Länder ausgebeutet werden konnten47.
Im Energiesektor wurde während des Nationalsozialismus kein Projekt durch den Naturschutz verhindert48. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 setzte das NS-Regime insbesondere auf das Wasserkraftpotential der Alpen, um durch Großprojekte wie das Tauernwerk mit dem Kraftwerk Kaprun den wachsenden Strombedarf des Reichs zu decken. Dieser Ausbau war durch die Anlage von Stauseen und die Umleitung von Wasserläufen mit großflächigen Eingriffen in die Alpenlandschaft verbunden. Darüber hinaus war ein großräumiger Verbund der alpinen Wasserkraftwerke mit den rheinischen, mitteldeutschen und oberschlesischen Dampfkraftwerken geplant. Die Anbindung an das deutsche Verbundnetz, die bis 1945 weitgehend realisiert werden konnte, griff nicht nur durch die Errichtung von Hochspannungsmasten in das Landschaftsbild ein, sondern erforderte auch die Rodung bis zu 70 Meter breiter Schneisen durch die Wälder. Landschaftsanwalt Seifert wandte sich gegen die befürchtete Verwüstung der Berglandschaft, doch wie andere Naturschützer vermochte er nicht die angestrebte Verantwortlichkeit für die Planung zu erreichen. Verschiedene Gründe verhinderten den Abschluss großer Teile der Projekte, darunter die nicht zu überwindende organisatorische Zersplitterung im Energiesektor sowie Engpässe bei Arbeitskräften und Rohstoffen49. Aufstieg und Fall der Projekte folgten einer ökonomischen Logik, der die Bedeutung des Naturschutzes untergeordnet war.
Einen kleinen Erfolg verzeichnete der Naturschutz in dem 1939 ausgewiesenen Naturschutzgebiet Wutach im Südschwarzwald. Da man nicht mit einer wirtschaftlichen Nutzung des abgelegenen, aber landschaftlich reizvollen Gebietes rechnete, galt die Ausweisung als Ausgleich für den Staudammbau am nahegelegenen Schluchsee. Indessen reifte bei der Schluchseewerk AG als Betreiber das Vorhaben heran, die Wutach ebenfalls aufzustauen, um das Wasser in den Schluchsee zu leiten. Als sich die Pläne 1942 konkretisierten, verlangte die Naturschutzstelle Baden, an dem Bauprojekt beteiligt zu werden. Als Reaktion auf öffentliche Proteste legte die Schluchseewerk AG einen überarbeiten Plan vor, der mehr Wasser in der Wutach beließ, und das Reichsforstamt stimmte dem Vorhaben im März 1943 zu. Für das Unternehmen bedeutete dies ein Jahr Zeitverlust unter Hinnahme von Zugeständnissen. Die Naturschützer protestierten weiter und wandten sich an SS-Führer Himmler. Dieser griff zwar nicht ein, aber dennoch wurde das Wutachprojekt 1944 kriegsbedingt eingestellt. In diesem Fall bewirkten die Naturschützer eine Verzögerung, die auf Dauer für die Einstellung des Wasserkraftprojektes sorgte50.
Die Reichsautobahnen galten als das große Prestigeprojekt, das sich die Nationalsozialisten auf die Fahne schrieben, obwohl die Konzeptionierung in die Weimarer Zeit zurückreichte. Die Naturschutzbehörden beanspruchten mit ihren „Landschaftspflegern“ und „Landschaftsanwälten“ eine Beteiligung an den Planungen51. Prominente Naturschützer wie „Reichslandschaftsanwalt“ Alwin Seifert brachten ästhetische und ökologische Argumente vor; er äußerte zum Beispiel seine Präferenz für Kurvenverläufe statt einer gradlinigen Streckenführung wie bei der Eisenbahn. Er wollte den „Mutterboden bewahren“, die Straßenränder widerstandsfähig bepflanzen und konzipierte eine Böschungsbepflanzung auf der Basis pflanzensoziologischer Kartierungen52. Dieses Verständnis von Naturschutz und Landschaftsgestaltung zielte auf eine „harmonische, ansprechende Einbettung der Autobahnen in die Landschaft“53. Wurden die Reichsautobahnen als „Gesamtkunstwerke“ angelegt?
Für die zielstrebige Durchführung des Autobahnbaus war 1933 mit Fritz Todt ein „Generalinspektor für den deutschen Straßenbau“ eingesetzt worden. Er entzog die Bautätigkeit dem Expertendiskurs, um eine Beschleunigung zu erreichen. Die Kosten schnellten bald in die Höhe und betrugen schließlich das Doppelte der projektierten 400.000bis 500.000 RM pro Autobahnkilometer54. Daher wurde in Zweifelsfragen stets die kostengünstigere Lösung bevorzugt; nur bei gleich hohen oder niedrigeren Kosten wurde die landschaftlich ansprechendere Variante gewählt55. Die staatlichen Naturschutzbehörden wurden nicht systematisch in die Planungsentwürfe einbezogen, denn ihre Vorstellungen flossen nur ergänzend in die Streckenführung ein. Auf der anderen Seite waren die „Landschaftsanwälte“ kriegswichtig aktiv, denn sie setzten ihre beim Autobahnbau gewonnenen Fähigkeiten beim Bau des Westwalls sowie zur Tarnung kriegswichtiger Anlagen ein56.
Unter dem Primat der Kriegsvorbereitung waren die Spielräume für den Naturschutz gering. Er blieb den Rüstungsanforderungen und Kriegsvorbereitungen systematisch untergeordnet und konnte nur akzidentelle Erfolge verbuchen. Einzelprojekte, die auf Druck von Naturschützern durchgesetzt wurden, konnten im NS-Staat durchaus so prominente Unterstützer wie Göring oder Himmler finden. Indessen wirkten die Protagonisten des Naturschutzes im Dritten Reich keineswegs als Bremse, sondern vielmehr als Vollstrecker der Ziele des Regimes, wie ihre Einbindung in die Expansionspolitik belegt.
Naturschutz in der Expansions- und Vernichtungspolitik
Inspiriert von Heidedichtern wie Hermann Löns und beseelt von nationalsozialistischer Begeisterung brachten sich die Landschaftspfleger und Naturschützer in die Weiterentwicklung der nationalsozialistischen Ideologie ein. Hermann Wiepking-Jürgensmann legte 1942 eine sog. Landschaftsfibel vor, die sich mit Raumordnung und Landschaftsgestaltung auseinandersetzte. Zum Charakter von Landschaften schrieb er:
Es gibt gesunde und kranke Landschaften. Immer ist die Landschaft eine Gestalt, ein Ausdruck und eine Kennzeichnung des in ihr lebenden Volkes. Sie kann das edle Antlitz seines Geistes und seiner Seele ebenso wie auch die Fratze des Ungeistes, menschlicher und seelischer Verkommenheit sein. In allen Fällen ist sie das untrügliche Erkennungszeichen dessen, was ein Volk denkt und fühlt, schafft und handelt. Sie zeigt uns in unerbittlicher Strenge, ob ein Volk aufbauend und Teil der göttlichen Schöpfungskraft ist, oder ob das Volk den zerstörenden Kräften zugerechnet werden muß. So unterscheiden sich auch die Landschaften der deutschen in all ihren Wesensarten von denen der Polen und Russen wie die Völker selbst57.
Wiepking-Jürgensmann schrieb der Landschaft verschiedene Attribute zu: medizinische (gesund/krank), spirituelle (Geist/Ungeist) und moralische (edles Antlitz/seelische Verkommenheit). Sie wurde in einem engen Verbund gedacht mit ihren Einwohnern, die als Volk definiert werden; somit sei die Landschaft ein „Erkennungszeichen“ für das Denken und Fühlen eines „Volkes“. Beide Aspekte wurden mit der NS-Rassenlehre in Verbindung gebracht: Es existiere eine „Wesensart“ edler Völker auf der einen und verkommener Völker auf der anderen Seite. Die Verbindung zwischen einer expansiven Raumpolitik und einer aggressiven Rassenpolitik sowie der hohe Stellenwert der „deutschen Kulturlandschaft“ stehen unmissverständlich im Mittelpunkt des Zitats.
Das Wirken des führenden Vertreters der deutschen Landschaftspflege blieb nicht theoretischer Art, sondern erfuhr auch eine praktische Umsetzung. Zunächst wurde Wiepking-Jürgensmann, der eine Professur für Garten- und Landschaftsgestaltung an der Berliner Universität innehatte, auf Befehl Himmlers im November 1940 zum Sonderbeauftragten für landschaftsgestalterische Fragen im „Reichskommissariat zur Festigung deutschen Volkstums“ (RKF) ernannt58. Unter ihn herum entstand eine Arbeitsgruppe, die ab 1942/43 für die „Landschaftspflege in den neuen Siedlungsgebieten“ zuständig war59. Ihre Hauptaufgabe war die Mitwirkung am sog. Generalplan Ost, den der Berliner Agrarexperte Konrad Meyer als Leiter des Planungsamtes beim RKF federführend entwickelte. Im Juni 1942 lag ein 84-seitiges Papier vor, das Hitlers Ziel der Germanisierung des eroberten Bodens konkretisierte – de facto stellte es eine praktische Grundlage für die Deportation bzw. Ermordung von Millionen von Menschen aus den besetzten Gebieten Osteuropas zur Verfügung60. Im Rahmen dieser wissenschaftlichen Zuarbeit für die Siedlungs-, Neuordnungs- und Vernichtungspläne wirkten die Garten- und Landschaftsarchitekten an der „Neugestaltung des Ostens“ mit. Für die beteiligten Naturschützer und Landschaftsplaner bot die Arbeit in den eroberten Gebieten die Chance, Gebiete ohne Rücksicht auf Besitzverhältnisse und konkurrierende ökonomische Nutzungen für den Naturschutz zu sichern61. Die beteiligten Personen blieben dabei allerdings nicht nur Schreibtischtäter, denn ihre Ausarbeitungen wurden von den militärisch Exekutierenden, den SS- und Wehrmachtverbänden, benutzt, um die Gebiete nach „Eindeutschungsfähigkeit“ zu klassifizieren.
Ein markantes Beispiel für die Beteiligung an der Landschaftsgestaltung in Osteuropa waren die Konzepte zur Ausweisung von Naturschutzgebieten. Im Reichsgau Wartheland wurde ein vier- bis fünfhundert Quadratkilometer großer Nationalpark im Warthe-Netze-Zwischenstromland projektiert, was als „Allmachtphantasien“ oder „Naturschutzimperialismus“ charakterisiert wurde, weil das Schicksal der dort lebenden Menschen unberücksichtigt blieb62. Die Beamten des Reichsnaturschutzamtes katalogisierten die Einzelparzellen, um sie als Naturschutzgebiete auszuweisen. Referenten wie Kurt Hueck bezeichneten einige dieser Flächen als einzigartig „deutsch“ und schützenswert aufgrund der Anwesenheit deutscher Einwohner in der Region63. Auf diese Weise ließen sich die Vertreibungsverbrechen legitimieren.
Eine weitere Gruppe, die sich an kriegsrelevanten Aktionen beteiligte, waren die Landschaftsanwälte um Alwin Seifert, die beim Generalinspektor für das Straßenwesen Fritz Todt angesiedelt worden waren. Bereits in Zusammenhang mit dem Autobahnbau vermochten sie ihren Aktionsradius stetig zu erweitern. Im Zuge der Inkorporation der besetzten Länder verlagerten sie ihre ursprünglich auf das Deutsche Reich begrenzte Tätigkeit auf Gebiete, die als neu zu erschließende Territorien angesehen wurden. Fritz Todt ernannte den Landschaftsanwalt Wilhelm Hirsch (Wiesbaden) zu seinem Berater für Tarnungszwecke. Er begleitete den Bau von Befestigungsanlagen, Straßen und Brücken sowie die Verlagerung von Industrien in strukturschwache Regionen. Kriegswichtige Anlagen entstanden typischerweise mitten im Wald, um sie vor der feindlichen Luftaufklärung zu tarnen64.
In den Konzentrationslagern beteiligten sich die Landschaftsanwälte an den biologisch-dynamischen Landbauexperimenten der SS, zum Beispiel beim Aufbau eines Heilkräutergartens im Konzentrationslager Dachau, in dem ab 1941 täglich rund tausend Häftlinge beschäftigt waren: „Nach der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise wurden Gewürze und Heilkräuter angebaut, die im Rahmen einer ‚Deutschen Heilkunde‘ importierte Waren ersetzen sollten“65. Die SS plante, das Konzentrationslager Auschwitz als landwirtschaftliche Versuchsstation und „Musterstadt“ für Osteuropa anzubauen. Für Landschaftsanwalt Bauch aus Dresden, der die Landschaftsanwälte als „Stoßtrupp“ für die Erschließung der Ostgebiete ansah, ist eine direkte Mitarbeit in Auschwitz belegt66.
Diese Beispiele zeigen, wie intensiv sich Naturschützer und Landschaftsanwälte an der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik beteiligten. Sie wurden dabei nicht etwa wider ihren Willen eingespannt, sondern waren überzeugte Gesinnungstäter, die ihre Fähigkeiten voller ideologischer Überzeugung in die übernommenen Aufgaben einbrachten. Die Protagonisten des staatsbürokratischen Naturschutzes der NS-Zeit waren nicht grün, sondern braun.
Fazit
Es lassen sich mehrere Motive ausmachen, warum das NS-Regime in Sachen Naturschutz aktiv wurde. Zum einen ließ sich der Naturschutz als willkommene Propaganda aufbauen: Er war in der Bevölkerung populär, sodass das Reichsnaturschutzgesetz eine entsprechende Wirkung entfaltete. Diesem gewünschten Effekt standen kaum Kosten gegenüber67. Naturschützende Vorhaben entsprachen den zur Schau getragenen Neigungen führender Nationalsozialisten, wenn auch nicht ohne eigene Vorteilnahme, wie im Fall von Görings Engagement für die Schorfheide gezeigt. Die geförderten Projekte sollten stets herausragend sein, so dass sie in die Propaganda passten. Ihre Einzigartigstellung entsprach auch den Vorstellungen Hitlers, der kein kanonisches Bekenntnis für einen breiten Natur- und Umweltschutz abgab, sondern die Natur in einem sozialdarwinistischen Sinn als immerwährenden Kampf begriff68. Dabei sollte sich das Herausragende, so auch das Naturdenkmal, durchsetzen.
Der Naturschutz durfte insbesondere nicht den Kriegsvorbereitungen entgegenstehen. Jede Wirtschaft ist an die Ressourcenausstattung des Landes gebunden; das galt für den Nationalsozialismus mit seiner Abkopplung vom Weltmarkt und seinem Autarkiestreben umso mehr. Als für die Kriegsvorbereitung zunehmend Stein- und Braunkohle gefördert, der Holzeinschlag erhöht oder Ödland urbar gemacht wurden, verringerten sich die verbleibenden Spielräume für die Ökologie. Auf der anderen Seite ist als Randnotiz zu vermerken, dass vom Autarkiestreben Impulse für die Förderung erneuerbarer Energien wie Holzgas, Wasser- und Windkraft ausgingen. Dennoch erfolgte nur selten ein schonender Umgang mit den verfügbaren Ressourcen, weil der Kriegsprimat dominierte. Diese Gemengelage erklärt, warum einerseits ein durchaus wegweisendes Naturschutzgesetz erlassen wurde, während andererseits eine ressourcen- und emissionsintensive Autarkie- und Rüstungswirtschaft betrieben wurde. Mit den so genannten höheren Zielen, die das Regime durch seine Kriegsführung anstrebte, befanden sich die führenden Naturschützer durchweg in Übereinstimmung: Ihre Mitwirkung am Generalplan Ost zeigte, wie sich ihre naturschützenden Ideale in eine rassistische und biologistische Exklusions- und Expansionspolitik einbringen ließen.
Die von den Naturschützern in diesem Kontext entwickelten Vorstellungen waren schließlich mit zeitgenössischen Mentalitäten, verkörpert durch populäre literarische Werke, in Verbindung zu bringen. Wie gesehen, projizierte Hermann Löns‘ Roman „Der Wehrwolf“ den Naturschutzgedanken in die Vorstellung einer naturbelassenen Kulturlandschaft. Gleichzeitig folgte er der völkischen Leitidee der Gebietseroberung. Der Kampf um den neuen Lebensraum richtete sich gegen eine als minderwertig deklarierte Kultur, die bei der Landnahme angetroffen wurde. Angesichts einer solchen Mythenbildung musste den Naturschützern in Himmlers „Reichskommissariat zur Festigung deutschen Volkstums“ ihre Planungsarbeit wie ein kohärentes Wirken vorkommen.
