Einleitung
Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wird der Einfluss menschlicher Handlungen auf die Umwelt immer greifbarer und nimmt immer mehr Platz im öffentlichen Diskurs ein, sei es über die direkten Folgen wie Umweltverschmutzung und Artenschwund oder über weiterliegende Gefahren wie den morbiden Zustand von Ozeanen und Stratosphäre. Parallel zu dieser Bewusstwerdung vieler Menschen treten Regierungen, internationale Organisationen und Medienakteure auf den Plan und thematisieren die Umweltgefährdung in Informations- und Aktionsplänen: einerseits um wissenschaftliche Fakten zu verbreiten in der Hoffnung auf eine Verhaltensänderung der Mitmenschen, andererseits um konkrete Schritte für die Wahrung einer gesunden Umwelt anzukündigen.
Der vom Jubilar hervorbeschworene Angelus Novus warnt vor der Katastrophe, der die Menschheit entgegenläuft, unser sprachwissenschaftlich (diskursanalytisch) ausgerichteter Beitrag wird sich aber nicht der Frage widmen, wie sich die Umweltkrisendiskurse gestalten, sondern wie politische Instanzen mit ihren Texten auf diese Warnung des „Engels“ öffentlich reagieren. Dabei werden diskursive Konstruktionen aufgedeckt, die verschiedene Ziele verfolgen: Sie beschreiben und bezeichnen Situationen in einer Weise, die als beschwichtigend angesehen werden könnte, rechtfertigen bisherige Handlungen oder Nicht-handlungen durch wirkliche oder vermeintliche Wissenslücken und schlagen Normen vor, deren Effektivität argumentativ überhöht wird. Aus der Fülle der argumentativen Mittel, die hierfür verwendet werden (topoï, Metaphern, Neologismen, Konnektoren1, etc.) werden die häufigen Modalverben aufgegriffen, die in der Textsortenauswahl einiger institutionellen Texte eher de-politisierend erscheinen, als dass sie eine ökologisch verantwortlichere Gesellschaft vorbereiten würden.
Von der Umweltkrise zu den Modalverben
Aufkommen der Umweltkrise im öffentlichen Bewusstsein
Das Wahrnehmen der zunehmenden Zerstörung der Ressourcen (Ozonloch, saurer Regen, Umweltverschmutzung) hat den Schutz der Umwelt seit den 1970er Jahren zu einem wichtigen Thema der Politik in den westlichen Industrieländern gemacht, wobei die politisch Handelnden eher versuchten, einer Panikstimmung entgegenzuwirken. Die relative „Verwissenschaftlichung“ der öffentlichen Debatte kam in den achtziger Jahren zum Teil daher, dass der anthropogene Treibhauseffekt oder die Ausdünnung der Ozonschicht sich nicht mit bloßem Auge feststellen lassen2, aber auch durch den notwendigen Appell an Wissenschaftler bei der Suche nach Lösungen. Staatliche Stellen, internationale Organisationen wurden aufgerufen, naturwissenschaftliches Wissen über Zusammenhänge und Kreisläufe der Natur zu liefern und zu verbinden, um die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu erarbeiten.
Das existierende Wissen in diesem Feld ist allerdings innerhalb der Gesellschaft variabel, und die gesundheitlichen und lebensweltlichen Risiken für Individuen und Gruppen unterscheiden sich so stark je nach Wohnort, sozialer Klasse, persönlichem Lebenswandel oder Arbeitsumfeld, dass ein Konsens über den Handlungsbedarf zwischen Betroffenen und Regierenden schlecht erreicht werden kann. Da gesellschaftliches Wissen durch Sprache vermittelt, eingebürgert und verbreitet wird, ist die öffentliche Kommunikation über Umweltproblematiken zentral für die Konstituierung von Konsens oder Dissens über Handlungsnotwendigkeiten und –ziele. Zwar haben die politischen Reaktionen auf Umweltzerstörung je nach Land und Epoche stark variiert und es spannt sich ein Bogen von kontrafaktischer Leugnung (die radioaktive Wolke von Tschernobyl hatte sich 1986 angeblich beim Erreichen der Grenzen verflüchtigt, wie die damalige französische Regierung behauptete) bis hin zu radikalen Entscheidungen wie dem deutschen Atomausstieg 2011. Generell orientierten sich im ausgehenden 20. Jahrhundert die öffentlichen Darstellungen an populärwissenschaftlichen Tatsachenbeschreibungen und appellativ ausgerichteten Diskursen über die Notwendigkeit einer Gefahrensenkung.
So ist ein halbes Jahrhundert nach den ersten Alarmrufen die Öffentlichkeit im Bilde über die Umweltkrise. Die Nominierung von Klimabeauftragten in Firmen und Verwaltungen3 gewährleistet die Allgegenwärtigkeit der Thematik im Bewusstsein der Bürger und der Wirtschaftswelt. Aber die Thematisierung der Umweltkrise bringt kaum greifbare Resultate, was man an der Diskrepanz zwischen der Fülle an Themen, Begriffen, Neologismen, Formeln oder Bildern, die in multimedialen Texten zirkulieren, auf der einen Seite und der fortgesetzten Umweltzerstörung auf der anderen Seite abliest. Der Planet erwärmt sich weiter, Meeres- und Landtiere und - Pflanzen nehmen ab und Pestizide gelangen in die Lebensmittel oder das Leitungswasser. Der Diskurs über den Umweltschutz hat keine sichtbare Schutzwirkung für sie, wie Bürgeraktionen und Kollektive junger Klimaaktivisten kritisieren. Für diese Abkoppelung von Diskurs und Handeln gibt es verschiedene mögliche Gründe:
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Die praktischen Auswirkungen der Umweltzerstörung auf soziale Gruppen sind so unterschiedlich, wie oben angedeutet, dass sie einen gesellschaftlichen Konsens über die durchzuführenden Maßnahmen verhindern, was „gute Vorsätze“ dämpft und ihre potenzielle Wirkung auf die Welt verringert;
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Die Kommunikation beunruhigender Umweltdaten ist an sich nicht performativ: Es müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein, damit die Empfänger der Informationen motiviert werden, ihr umweltschädigendes Verhalten zu ändern oder ihre CO2-Bilanz zu senken;
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Schließlich – darauf stützt sich dieser Beitrag - zielt der massentaugliche politische Diskurs nicht aufrichtig darauf ab, einen umweltadäquaten Wirtschaftswandel zu beschleunigen.
In der Regel vermeiden politische Diskurse nämlich dramatisierende und stark agonale Argumentationen4 und bieten Orientierung, wobei Orientierung großenteils als Beruhigung der verängstigten oder aufgeregten Gemüter verstanden wird, wie Wallis für die 2004 von Greenpeace initiierte Debatte der „Gen-Milch“ der Firma Müller betont5. Diese vorsichtigen Diskursstrategien werden von Umweltschützern als „Neutralisierung“ im Sinne von Krieg-Planque analysiert6, und es werden folgende Merkmale dieses politischen Diskurses kritisiert.
Sprachliche Charakteristiken des öffentlich-politischen Diskurses im Umgang mit der Umweltproblematik
Der interessenabhängige Umgang mit dem Umweltwortschatz von Seiten der Industrie-, Abfall- und Energieverbände wurde von Umweltaktivisten und Ökolinguisten als absichtliche Täuschung gesehen, z.B. wenn Waldsterben als „großflächige Forstschäden“ deklariert wurde, Luftverschmutzung als „Emissionsschäden“, oder Lagerplätze für radioaktive Abfälle als „Entsorgungsparks“. Die oft auf der Idee des Fortschritts basierende Verschleierung wurde als eine beabsichtigte Sprachlenkung dargestellt, die die Bürger beruhigen und/oder kritisches Hinterfragen behindern sollte.
Diese lexikalische Umschreibung lässt bestimmte Vorgänge günstiger erscheinen, als es der Wirklichkeit entspricht. „Freundliche“ Wortbildungen leisten hier einen besonderen Dienst, wenn eine negativ geltende Konnotation neutralisiert oder in eine positiv geltende umgewandelt wird: „Pflanzenschutzmittel“ ist die schöne sprachliche Kehrseite von „Insektengift7“, und auch das Verb „aussterben“, wenn es „ausrotten“ verdrängt, lässt die Verursacherfrage im Dunkeln, obwohl der wichtigste Faktor des Schwindens der Biodiversität die menschliche Tätigkeit ist. Beide Verben verdunkeln die menschliche Verantwortung bei der Schädigung der Biodiversität. Zur Entdramatisierung trägt diese Deagentivierung bei, die Peter von Polenz schon 1985 in seiner berühmten Deutsche Satzsemantik unter dem Etikett „Entpragmatisierung” folgendermaßen charakterisierte:
Es entspricht einem allgemeinen Stilprinzip der modernen liberalen Sprachkultur des öffentlichen Lebens, daß man persönliche Beziehungen möglichst indirekt, uneigentlich, unverbindlich oder gar nicht ausdrückt. Man ist gewohnt, solche Texte primär als ‘objektiv’, ‘sachbezogen’ aufzufassen, nicht als Handlungen zwischen Menschen und Menschen. In den meisten offiziellen Texten wird der Handlungsgehalt weitgehend verschleiert; sie sind unpragmatisch formuliert8.
Zu den entpragmatisierenden sprachlichen Mitteln zählte Polenz Nominalisierungen, Passivierungen und eben Modalverben, denen sich unser zweiter Teil widmen wird.
Zu den lexikalischen Mitteln zählen ebenfalls Kurzwörter, die eine Verschleierung des Begriffsinhaltes erlauben: man vergleiche den Terminus „Castor-Transporte“, in dem CASTOR für CAsk for Storage and Transport Of Radioactive material steht, wodurch auf den Transport abgebrannter Brennstäbe aus Kernkraftwerken in ein Zwischenlager oder zu Wiederaufarbeitungsanlagen referiert wird. Dieser metaphorische Euphemismus abstrahiert von der Gefährlichkeit der Atomabfälle, die zumindest sprachlich unschädlich gemacht werden. Die positiven Konnotationen eines eigentlich als niedlich empfundenen Tiers (Castor ist lateinisch der Biber und das Wort ist der gängige Terminus in Frankreich9) sind freie Natur, Bachrauschen, Interaktion zwischen Tier und Naturelement „Wasser“, was die konkrete Vorstellung von atomaren Abfällen und der Zeitdauer ihrer Strahlung vollkommen in den Hintergrund drängt.
Auch die Technisierung der Umweltprobleme weckt Vorstellungen nach dem Motto „Die Technik macht’s möglich“, wonach Entsorgung, Begrenzung von Temperatursteigerungen, oder Säubern von chemisch verseuchten Flächen oder Gewässern im Rahmen des durch die moderne Wissenschaft Erreichbaren seien. Wenn von „Entsorgungparks“ oder „Recyclingparks“ gesprochen oder geschrieben wird, bewirkt die sprachliche „Verwissenschaftlichung“ zwar keinen Schritt auf dem Weg der Lösung, wohl aber die Illusion, dass dem so wäre. Auch abstrakte typenhafte Verwaltungssprache um das Thema herum trug und trägt durch ihre Schwerverständlichkeit zur Verflüchtigung des Sinnes bei, d.h. der Gefahr, wie in:
(1) Sofern ein gemäß KSG zu erstellender Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag in 2028 zur CO2-Bepreisung innerhalb der EU zu dem Resultat kommt, dass auf die Sektorziele verzichtet werden kann, können diese ab 2031 obsolet werden10.
In dieser Darstellung des Umweltbundesamtes zu der Entwicklung der Treibhausgasemissionen kommen keine verantwortlichen Akteure vor, sondern Institutionen, Kürzel und Fachwörter, weite zeitliche Ziele (die aktuellen wurden verfehlt, wie es ein paar Zeilen vorher heißt) und die Projektion, dass es sich um einen lenkbaren Vorgang handelt, der im Rahmen des Machbaren angesiedelt sei. Der Krisencharakter wird durch Handlungsaussichten entschärft, und der verwaltungsfachliche Schreibduktus der Regierung verhilft zur Entdramatisierung der Verfehlung der Klimaziele. Gerade diese dämpfende und beruhigende Leistung bringen die Modalverben mit sich, wie die nächsten Ausführungen zu belegen versuchen werden.
Modalverben im programmatischen Handlungsdiskurs der Politik
Modalverben besitzen an sich keine genuin persuasive Dimension, denn sie haben eine schwer festzulegende Bedeutung, die sich nur im situativen Bezugsrahmen einstellt. Ein persuasiver Gebrauch wird erst aus der Perspektive heraus deutlich: aus dem Kontext und der argumentativen Linie des jeweiligen Polit- oder Umweltdiskurses.
Von Zerstäuben des Wahrheitsgehaltes
Die Modalität macht Aussagen über mögliche Welten, Welten, die anders sind als die tatsächliche. Manche Linguisten11 sehen sie als eine Meta-Kategorie an, deren Werte ungeachtet der üblichen didaktischen Trennung zwischen Modalität und Modalisierung auf einem Kontinuum liegen. In der Modalität hat das Sollen einen prädikativen Wert – es wird so werden –, und kippt ins Deontische, das vorschreibt, „was sein muss“. Modalitäten stellen die Konstruktion der zukünftigen Welt in Aussicht, und bewirken hiermit eine Ordnung des Diskurses im Sinne Foucaults. Eine modalisierende Schreibweise ist weniger referentiell als andere und beschreibt weniger, was nicht bedeutet, dass sie keine Informationen in Form von Anweisungen transportieren würde.
Die sogenannten logischen Modalitäten, d.h. Möglichkeit, Notwendigkeit und Wahrscheinlichkeit12 werden durch die Verben können, müssen und sollen vermittelt, die starre Fakten zerfasern lassen: Die Sprache sagt nicht das Wahre oder das Falsche, sondern spiegelt durch sprachlichen Ikonismus die ständige Entwicklung der Phänomene der Welt wider. Die periphrastischen Ausdrücke, die sich aus einem Modalverb und dem Infinitiv eines Vollverbs zusammenfügen, geben dem Vollverb keinen Wahrheitswert, oder dieser ist unbestimmt13. Modalverben zeigen Sprechakte an14: Sie äußern eine Absicht des Sprechers, vulgo „Versprechen“, beziehen ihre Handlungen auf materielle Zwänge oder Verpflichtungen und vollziehen damit Handlungen, die Sprechakte der Rechtfertigung sind. Als Beispiel seien Sätze aus einem Dokument zur Lagerung von radioaktiven Abfällen zitiert, das auf der digitalen Seite der Bundesgesellschaft für Endlagerung zu finden ist. Diese Institution ist für die zukünftige Schließung eines Endlagers für schwach radioaktive Abfälle in der Region Wolfenbüttel in der Bundesrepublik Deutschland zuständig:
(2) Die Abfälle sollen über ein neues Rückholbergwerk geborgen werden. Anschließend werden sie in einer Abfallbehandlungsanlage fachgerecht behandelt und sicher verpackt, bevor sie in ein Zwischenlager gebracht werden können. Nach heutigem Planungsstand soll die Rückholung der Abfälle im Jahr 2033 beginnen15.
In diesen drei Sätzen folgen zwei Verbalgruppen auf „sollen“, eine in der Modalität des Zieles, die andere als zitierte Zeitvorausschau – entsprechend dem, was Studierenden als Modalisierung beschrieben wird –; ein Modalverb „können“ führt eine Bedingung für den Umzug der Fässer ein. Die Webseite zeigt die industrielle Zeichnung einer künftig zu bauenden Maschine zum Transport der Fässer, die durch das Eindringen von Salzwasser angefangen haben zu korrodieren, was besagten Umzug erforderlich macht, sowie Fotos der im Augenblick im Salzbergwerk laufenden Arbeiten, die den Wahrheitsgehalt des Vorhabens belegen. An sich lassen das Informationsbündel von Text, Zeichnung und Fotos sowie die Aura einer Organisation, die direkt einem Ministerium untersteht, keinen Zweifel am Willen zur Durchführung des Projektes aufkommen. Doch das Zusammenspiel der verschiedenen Modalitäten macht keinen Unterschied zwischen Postulat, Projekt und Zustand der Welt. Ein Klimaaktivist oder ein Anwohner wird sich über den weiten Zeithorizont sorgen, der sich zwischen der ersten Lagerung der Fässer (1967-1978) und dem endgültigen liegenden Umzug, dessen Datum noch nicht feststeht, spannt: Es wird erst in zehn Jahren damit begonnen, und die Riesenmaschine zur Bewältigung dieser Aufgabe ist noch zu bauen16. Das Geschriebene entzieht sich jedoch dank der Modalverben dem Vorwurf der Verfälschung der Wirklichkeit.
Da häufig Unklarheit über die Terminierung von Handlungen und ihrer Effekte besteht, trägt ihre Soll-, Muss-, Will-Bestimmung zur Verdunkelung eines möglichen hypothetischen Charakters.
(3) Festzuhalten ist jedoch, dass die Bundesregierung dafür Sorge tragen wird, dass die landgebundenen Terminals für den Umschlag von grünem Wasserstoff und / oder seinen Derivaten geeignet sein sollen bzw. die Eignung mit vertretbarem Aufwand hergestellt werden kann17.
In dieser Antwort des Staatssekretärs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz auf die schriftliche Frage eines Parlamentariers zur Kompatibilität der Energieversorgungsmaßnahmen mit den Zielen des Klimaschutzgesetzes kommen Beteuerungen und Zukunftsprojektionen vor, deren Faktizität durch nichts als die Aussage des Unterzeichners18 untermauert wird. Die Betonung von Möglichkeit und Wünschenswertem bildet einen Deutungsrahmen im Umweltgefahrendiskurs, der auf ähnliche Weise wie die langjährige Betonung der Unsicherheit der anthropogenen Klimakrise19 dazu führt, dass Umweltprobleme ihres Dringlichkeitscharakters beraubt werden.
Deagentivierung durch die infinitive Ergänzung
Der Infinitiv des Vollverbs, den ein Modalverb einleitet, verzichtet zwangsweise auf verschiedene semantisch-grammatische Spezifikationen wie die des Modus, der Zeit und der Person, die generell mit der Angabe des Subjekts einhergeht. Ein Infinitiv bezeichnet eigentlich einen nicht aktualisierten, also virtuellen Prozess. In einem fachlichen oder politischen Text drückt er ein Programm, einen potenziellen Vorgang aus20. In Verbindung mit einem Passiv ohne Agensangabe oder mit einem abstrakten Subjekt für das Modalitätsverb überlässt er es dem Schicksal, die betreffenden Handlungen zu vollziehen. Die Deagentivierung, Detemporalisierung und Demodalisierung des Infinitivs begründen die Hilfsfunktion der Modalverben: Sie sind es, die die Virtualität des Prozesses in Szene setzen, und der Infinitiv ohne Kontextualisierungsspuren hat einen spekulativen Wert und sagt nichts über die Welt aus. Textstellen, die Modalverben und ihre ergänzenden Infinitive häufen, sind pseudo-objektiv, wobei das Verb im Infinitiv, oft ein technisches Verb, ihm einen objektiven Charakter verleiht, während die Äußerung einer Modalität für den Pseudo-Charakter zuständig ist. In der Darstellung europäischer Klimaschutzgesetze auf der Website des deutschen Umweltministeriums eröffnen die Modalitäten des Wollens und Könnens Kausalketten ohne jede Realisierung:
(4) Anstatt einer Minderung von 80 % - 95 % will die EU nun netto-Null Treibhausgasemissionen („Klimaneutralität“) sowie anschließend negative Emissionen ab 2050 erreichen. Emissionssenken können dabei Emissionsquellen ausgleichen21.
Eine lasche Subjektkontrolle kann zu dieser Vagheit beitragen:
(5) Die Belastung der Umwelt soll durch Innovationen in neue Züchtungen und Pflanzenschutz minimiert werden, anstatt pauschal auf die Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln zu setzen22.
indem sie beschriebene Vorgänge noch unpersönlicher macht. Im Beispiel (5) kann das Subjekt des Hauptsatzes semantisch nicht das Subjekt des Infinitivsatzes sein, der mit „anstatt“ beginnt, trotz der grammatikalischen Regel, wonach das Subjekt in der Trägerstruktur (Hauptsatz) und das Subjekt des Infinitivs im Ergänzungssatz identisch zu sein haben. Der Empfänger muss überlegen, ob es sich um die Parlamentarier handelt, an die sich der Sprecher wendet, um die Gruppe der Wissenschaftler, der der Sprecher angehört, oder um die öffentliche Meinung im Allgemeinen.
Ein ähnlicher semantischer Effekt wird durch Adjektivbildungen auf -bar erzielt, die Potentialität oder Unmöglichkeit ohne Agensangabe für die anvisierte Handlung oder für den Handlungsverzicht verbinden. Wenn ein Experte wie Professor Andreas von Tiedemann vor dem deutschen Bundestag erklärt:
(6) Die vorgeschlagene Verordnung der EU-Kommission zur weiteren Einschränkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist wissenschaftlich nicht begründbar23.
Dann wird der Wissenschaft selbst die Rolle zugeteilt, Empfehlungen oder Ausnahmeregelungen für Insektizide zu rechtfertigen oder nicht, wobei der Wissenschaftler, der möglicherweise eine parteiische Meinung zu diesem Thema vertritt, entlastet wird. Oder die Regierung verteidigt ihr jüngstes Klimagesetz, indem sie auf die Existenz „unvermeidbarer“ Treibhausgasemissionen verweist:
(7) Wälder und Moore sind Kohlenstoffspeicher, sogenannte natürliche Senken. Sie sind wichtig, um unvermeidbare Restemissionen von Treibhausgasen zu binden24.
Die Aussage, die für den Leser auf Grund der Pertinenz-Maxime von Grice zur Aussage der Regierung wird, besitzt den Nimbus der unumstrittenen Tatsache.
Mit Modalitäten vorschreiben: ein sanfter kategorischer Imperativ
Eine modalverbreiche Sprache bietet Anweisungen im Vorschlag-Modus. Sie regt mehr an als dass sie lenken würde, indem sie auf Natur- und Physikgesetze verweist, die die empfohlenen Veränderungen notwendig machen: Fakten der Welt als die wirklichen Gebieter würden zur Veränderung verpflichten. So wird im folgenden Zitat, das das zuvor erwähnte Lager Asse beschreibt, aus dem „ist“ ein „muss“:
(8) Tief unter Tage liegen in dem Bergwerk rund 47 000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Dort sind sie nicht sicher. Sie müssen zurückgeholt und das Bergwerk anschließend stillgelegt werden – so lautet der gesetzliche Auftrag an die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE)25.
Abstrakte Naturgesetze wirken als höhergestellte Prinzipien, die genau die Handlungen erfordern, von denen die Rede ist, mildern also die Gewalt, die vom Schicksal ausgeht. Im zeitgenössischen Gebrauch solcher verwandten26 Sprachen wie Französisch, Deutsch oder Englisch haben Modalitätsverben einen „diskreten“ performativen Gebrauch, von „ich möchte dich bitten“ über „ich muss es ablehnen“27 bis hin zu „we would like to observe a moment of silence“28. Direktives verbirgt sich unter/hinter dem Modalverb, und die Performativität ist implizit: Die englische Sprachwissenschaft spricht hier von hedged performatives für diese halbherzigen Sprechakte, die zwischen dem eigentlichen Sprechakt und der subjektiven Sprecherhaltung schweben.
Etwas als wünschenswert hinstellen heißt konventionell, es implizit positiv zu bewerten. Eine Formulierung mit Modalverben weist demnach zwei ineinander greifende Diskursebenen auf: eine referentielle Ebene, in deren Bereich Maßnahmen und ihre Folgen beschrieben werden, und eine ideologische Ebene, auf der diese „Ideen“ im Sinne Platos von gegenwärtigen oder zukünftigen Tatsachen mit einem Evidenz-Charakter (müssen) oder dem eines wünschenswerten Ziels (müssten mit einem Konjunktiv II mit dem Wert eines Wunschkonditionals, oder sollen) versehen werden:
(9) Das Ziel für die erneuerbaren Energiequellen für 2020 wurde voraussichtlich erreicht, teilweise aufgrund der fallenden Preise für Wind- und Solarenergie. Mit Blick auf das 2030-Ziel müssen die Ausbauraten deutlich steigen29.
(10) Um das Ziel von -55 % weniger Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 zu erreichen, müssten die jährlichen Minderungen gegenüber den Projektionen mit bestehenden Maßnahmen (WEM) fast verdreifacht werden. Für eine Gesamtminderung von 95 % im Jahr 2050 müssten sie sogar fast um den Faktor sieben gesteigert werden. Das sogenannte „Fit-For-55-Paket“ soll die Erreichung dieser Ziele flankieren30.
Die verbalen Formen „müssen“ oder „müssten“ führen spekulative Infinitive ein. Die Modalitäten der Notwendigkeit (müssen) oder die einer ethischen Pflicht zum Handeln (sollen) zeichnen verantwortliche Regierungsakteure, die Quasi-Versprechungen abgeben. Einerseits handelt es sich sehr wohl um sprachliche Performativität im Sinne der versteckten Kodierung, die Leiss in Modalverben sieht31. Andererseits ist es bei konditionalen Verbformen der Sprecher, der den Blick in die Zukunft wagt und das Ethos eines umsichtigen, also vertrauenswürdigen Sprechers aufbaut. Der Verfasser einer solchen Informationsseite legt gerade nicht fest, wann er das hehre Ziel zu erreichen gedenkt, erzeugt aber zwischen sich und seinen Rezipienten eine ethische Übereinstimmung. Der verstärkte Gebrauch der Modalverben intendiert das Äußern dynamischer Bedeutungen und die Vermittlung eines überzeugten Bewusstseins und Handlungswillens. Der Wille als Teilaspekt des Handlungsversprechens wird hervorgehoben, ruft natürlich bei der Zielperson keine Kritik hervor und rückt die Realisierung selber als unklar in der Zukunft angesiedeltes Phänomen näher.
Epistemischer und normativer Gebrauch
Die Dokumente, aus denen unser kleiner ad-hoc Korpus besteht, sind nicht agonale Texte, die den Widerspruch zwischen den Schwierigkeiten eines tätigen Umweltschutzes und der resultierenden geringen Wirksamkeit so weit wie möglich geglättet haben. Die denkbaren Einwände der Umweltaktivisten sind bereits (pseudo)-gelöst worden oder werden auf ein unüberwindliches Hindernis in der Welt zurückgeführt, das die Kombination „können + müssen“ gleichsam naturalisiert. Darüber hinaus wird die ideologische Haltung dieser politischen Texte als die von Akteuren konstruiert, die von einem Ethos des kollektiven Handelns zum Wohle der Menschheit angetrieben werden und sich an ethischen Normen orientieren, die häufig mit „sollen“ eingeleitet werden. Diese drei Modalverben (können, müssen, sollen) sind in der Tat diejenigen, die aus den sechs Kern-Modalverben des Deutschen am häufigsten verwendet werden, was sich mit den quantitativen Analysen von Müller und Stegmeier32 zum Thema Umweltrisiken deckt: mögen hat in ihren statistischen Erhebungen33 ein sehr geringes Vorkommen, der Gebrauch von dürfen und wollen bleibt unter 10%, müssen und sollen liegen leicht über 22% und können macht mehr als ein Drittel (37%) aus. Die eigenen Beobachtungen stimmen mit solchen Größenordnungen überein, wobei die sehr ähnlichen politischen Verwendungskontexte diese Übereinstimmung erklären mögen.
Im epistemischen Kontext erinnert ein Modalverb der Potentialität an die Naturgesetze (Bsp. 12), thematisiert die Auswirkungen (es kann Menschen gefährden) und leitet daraus eine Handlungsnotwendigkeit ab: wir müssen so oder so handeln (immer noch Bsp. 12).
Im Kontext einer Zielformulierung verweist das Modalverb soll auf ethische und/oder soziale Normen, die das Handeln voraussetzen, nach der argumentativen Linie: wir sollten alles tun, um diese Gefahr abzuwenden. Ein Newsletter der Bundesgesellschaft für Endlagerung liefert dafür gute Beispiele, zunächst für das argumentative Spiel zwischen Können und Sollen, dann für den Verweis auf eine Handlungsethik (one best way, Bsp. 13) oder eine Sozialethik (Bsp. 14):
(11) Aber abgesehen davon könnten sie so, wie sie hier stehen, bereits in ein Endlager gebracht werden. Für jedes einzelne Gebinde muss allerdings eine entsprechende Genehmigung der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) vorliegen34.
(12) Hochradioaktiver Abfall hingegen entwickelt so viel Wärme, dass das Endlagergestein beeinflusst werden kann. Dafür muss das Endlager ausgelegt sein35.
(13) Zugleich sollen die Brennelemente möglichst platzsparend auf die Castoren verteilt werden36.
(14) Der Ausbau des ehemaligen Eisenerzbergwerkes im niedersächsischen Salzgitter ist aufwendig, schließlich soll es höchsten Sicherheitsanforderungen genügen37.
Die an sich banale Zusammensetzung von einem Modalverb und seiner Infinitiv-Ergänzung mit einer teilweisen Entsemantisierung des Modalverbes erklärt, warum sie von den Empfängern und vielleicht sogar von den Produzenten dieser Formulierungen nicht bewusst wahrgenommen werden und zu offensichtlichen Binsenweisheiten führen, wie z.B.:
(15) Im Jahr 2027 soll das Endlager in Betrieb gehen. Um eingelagert werden zu können, müssen die Abfälle dann endlagerfähig sein38.
Unter dem fachwissenschaftlichen Jargon verdeckt haben die modalen Ausdrücke die Fähigkeit verloren, auf die reale Welt zu referieren und drehen sich im Leeren. Die potenzielle Gefahr ist außer Blickweite geraten, und das Problem ist für die nächsten 300 000 Jahre entschärft, wie kurz danach eine andere modale Formulierung (nicht zu rechnen ist) uns glauben machen will:
(16) Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass in den kommenden 300 000 Jahren nicht mit einer Freisetzung von Substanzen in die Biosphäre zu rechnen ist39.
Diese kombinierten Selbstverständlichkeiten, Prophezeiungen und Zwangsanerkennungen führen zu modalitätsgebundenen Textsequenzen, die den Regierungsversicherungen eine starke Performativität verleihen. Das Ethos, das der Diskurs aufbaut, ist das von Instanzen, die effektiv für die Umwelt handeln würden, was Morena in seiner auf Französisch erschienenen Monographie als das „Régime incantatoire des super-riches et gouvernants“ bezeichnet, der dominante Diskurs der Ultrareichen und Regierungen40.
Schlussüberlegungen
Modalitätsaussagen im ethischen Duktus sind der Argumentationsmodus von offiziellen Stellen, wenn sie getroffene oder geplante Maßnahmen gegen die Umweltkrise bekannt geben, das, was Lakoff ein Framing nennt41, das Konstituieren eines in sich schlüssigen konzeptuellen Szenarios, das von der Aura eines progressiven Moralsystems persuasiven Mehrwert zieht. Die deutschen Regierungsinstanzen und die para-institutionellen Medien in ihrem Umfeld verlautbaren Richtlinien, deren Wirksamkeit sich aus dem sittlichen Handeln des Menschen ergibt und nur durch den natürlichen Lauf der Dinge begrenzt wird. Die Rolle des Zufalls und die Möglichkeit beunruhigender Zwischenfälle werden durch Modalitäten wirkmächtig vernebelt. Mit Modalverben eingeleitete Schritte erscheinen umso einnehmender, als sie nur das planen und durchführen, was jedem Leser dieser Texte für das Wohlergehen der Welt wünschenswert zu sein scheint. Doch ein Diskurs in Modalitäten führt zum Verschwinden von Krise(n), die höchstens in die Zukunft weitergereicht werden, die die Probleme mit eben dem schon jetzt gezeigten guten Willen lösen wird. Die Texte des öffentlichen Diskurses, die sich mit der ökologischen Dringlichkeit befassen, schlagen ebenso diffuse wie lobenswerte Ziele vor, ohne sich lange mit der Frage aufzuhalten, ob die Mittel tatsächlich zum Erreichen dieser Ziele genügen werden; sie multiplizieren Wünsche mit Möglichkeiten. Einerseits führt die inflationäre Verwendung der Modalverben zu einer Beliebigkeit ihrer ursprünglichen Bedeutung. Andererseits erhalten Modalstrukturen eine performative Dimension aufgrund ihrer institutionellen Legitimität und ihrer Verbreitung auf verschiedenen Ebenen des öffentlichen Diskurses, sie naturalisieren die Stagnation der Umweltmaßnahmen.
Zusätzlich zu dieser „Neutralisierung“ der ökologischen Dringlichkeit zeigt der häufige Gebrauch der Modalverben eine Stufe der Grammatikalisierung, die sie zu Trägern der Einstellungen und Urteile der Schreiber machen. Ohne die Leser zur Beglaubigung dieser zukünftigen Wahrheit zu zwingen, denn Zwang ist politisch unkorrekt, legen die Modalverben ihnen unaufhörlich nahe, was sie aus dem zu folgern haben, was ihnen in einer offenen Form dargeboten wird. Das „Kommende“ wird also von den rhetorisch vorsichtigen Modalverben getragen, aber die Entwicklung der Umweltbewegung legt nahe, dass die Aktivisten nicht oder nicht mehr an die perspektivische Konstruktion einer handelnden Regierung glauben.
